(berriak-news/Ingo Niebel) Frank-Walter Steinmeier besucht als erster Bundespräsident die baskische Stadt Gernika, das Symbol baskischer Freiheit. Deutsche Flieger zerstörten sie 1937. Auf dem Weg dorthin hat er mehr politisches Porzellan zerschlagen als jemals ein deutscher Politiker vor ihm. Dabei hatte sein Amtsvorgänger Roman Herzog doch 1997 alles gerichtet, was es damals zu richten gab.
Wenn Basken etwas überhaupt nicht mögen, dann ist es Heuchelei und als Feigenblatt benutzt zu werden. Ihre heutigen Autonomiestatute von spanischen Ganden erreichen nicht den Grad an Souveränität wie einst ihre Sonderrechte (Fueros), die die spanische Krone 1876 eliminierte. Geblieben ist bei vielen dennoch ein ausgeprägtes politisches Selbstbewusstsein, das außerhalb des Baskenlandes seines Gleichen sucht. Wer von ihnen respektiert werden möchte, kann nicht mit Titeln und Funktionen herumwedeln: Ihren Respekt erwirbt man durch Glaubwürdigkeit.
Dieser Massstab gilt auch für den Bundespräsidenten. Seit seiner Rede beim Staatsbankett am Mittwoch in Madrid, das sein Gastgeber König Felipe VI. ihm zu Ehren gab, ist im Baskenland klar, dass Steinmeier das Ansehen verspielt hat, das sein Amtsvorgänger Roman Herzog 1997 in letzter Minute retten konnte.
Bundespräsident Herzog rettet das Ansehen der Bundesrepublik
Das NS-Regime hieß die Tatsache, das seine Legion Condor Gernika zerstört hatte, eine Lüge. Die Bundesrepublik Deutschland brauchte Jahrzehnte, bis sie die deutsche Schuld anerkannte, dafür Verantwortung übernahm und Wiedergutmachung leistete. Letztere brachte die Regierung von Helmut Kohl (CDU) in Gefahr, als sie ihr Versprechen brach, in Gernika ein Berufsbildungszentrum zu errichten. Der düpierte Bürgermeister, der Christdemokrat Eduardo Vallejo (PNV), drohte, die für Berlin prestigeträchtige Städtepartnerschaft mit Pforzheim zu beenden. Der Eklat gefährdete das Ansehen der Bundesrepublik. Bundespräsident Herzog sprang in die Bresche. Er half der Bundesregierung mittels eines Briefes an die Überlebenden aus der Bredouille. Darin kannte er die “schuldhafte Verstrickung deutscher Flieger” an und streckte den Opfern die Hand zur Versöhnung entgegen.
“Ich möchte mich der Vergangenheit stellen und mich zur schuldhaften Verstrickung deutscher Flieger ausdrücklich bekennen. […] Ihnen, die die Wunden der Vergangenheit noch in sich tragen, biete ich meine Hand mit der Bitte um Versöhnung.”
(Bundespräsident Roman Herzog, 1997)
Dass Herzogs Worte nicht den Ansprüchen deutscher Geschichtspolitik beim Umgang mit NS-Verbrechen gerecht wurden, spielte im Baskenland keine Rolle: Die Adressaten seiner Botschaft und selbst die facettenreiche linke Unabhängigkeitsbewegung nahmen die Geste an – eben weil es aus Spanien nichts dergleichen gab. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Der Wiedergutmachung kam die Regierung Kohl nach, indem sie den Bau einer Sportanlage in Gernika finanzierte.

Deutsche “Staatsräson” reist mit Steinmeier
Ohne Not hat Steinmeier das Vermächtnis seines Amtsvorgänger diskreditiert, obwohl er sich in seinen Aussagen zur deutschen Schuld bei der Vernichtung von Gernika präziser äußert.
“In Guernica haben Deutsche schwere Schuld auf sich geladen. Am 26. April 1937 bombardierte die gefürchtete Legion Condor die Stadt. Sie hinterließ eine Trümmerlandschaft. Hunderte wehrlose Kinder, Frauen, Männer verloren auf grausame, auf qualvolle Weise ihr Leben. Das Grauen, der Schmerz, die Trauer, sie leben bis heute in vielen baskischen Familien fort.”
(Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, 2025)
Aber im Gegensatz zu Herzog erscheint er im Baskenland nicht nur als Bundespräsident, sondern ebenfalls als höchster Vertreter der “Staatsräson”, die vor der deutschen Verantwortung für den Holocaust die Sicherheit und Existenz Israels über das Völkerrecht stellt. Um es mit Ralph Giordano zu sagen: Steinmeier betritt das Baskenland mit der “Last der dritten Schuld, Deutscher zu sein”: Sein Staat steht im Verdacht, den mutmaßlichen Völkermord der israelischen Regierung an den Palästinensern nicht nur nicht verhindert zu haben, sondern durch Waffenexporte Beihilfe zum Genozid zu leisten. Der Internationale Strafgericht in Den Haag wird über die deutsche Verantwortung an diesem Menschheitsverbrechen urteilen.
Dieser Gesamthintergrund schien Steinmeier nicht bewusst gewesen, als er in Madrid sagte: “Guernica ist eine Mahnung – eine Mahnung, für Frieden, Freiheit und die Wahrung der Menschenrechte einzutreten. Dem wollen wir gerecht werden. Jetzt und in Zukunft.” Es ist diese Art politischer Heuchelei, die im Baskenland überhaupt nicht gut ankommt.
Große Teile der baskischen Zivilgesellschaft zeigen sich mit den Palästinenser solidarisch. Anfang November begleitete die baskische Zivilgesellschaft die Nationalmannschaft Palästinas durch die Straßen Bilb(a)os zum San Mamés-Stadion. Dort sahen 50.000 Menschen in der ausverkauften Fußballarena das Freundschaftsspiel gegen die baskische Elf. Im Baskenland spricht man weniger von Solidarität, stattdessen lebt man sie. Nicht von ungefähr heißt die Initiative Gernika-Palästina. Sie entstand 2024 in der gleichnamigen Stadt.
Felipe VI. ist Francos politischer Enkel

Schlimmer geht immer, scheint das inoffizielle Motto dieser Reise zu sein. Entweder das Bundespräsidialamt hat einen Saboteur in seinen Reihen, oder die Inkompetenz deutscher Außenpolitik ist größer als gedacht, oder im Palais Schaumburg ignoriert man potenzielle Spanien-Experten im Auswärtigen Amt. Andernfalls läßt sich dieser Satz in Steinmeiers Rede nicht erklären: “Majestät, ich freue mich sehr darüber, dass Sie mich nach Guernica begleiten werden. Dass ich diesen Ort an Ihrer Seite besuchen darf, das zeigt, welch langen Weg wir seitdem gemeinsam gegangen sind. Ein Weg, der über Erinnerung und Versöhnung in eine gemeinsame Zukunft führt.”
Spanien kann Deutschland nicht das Wasser reichen, wenn es um Erinnern und Versöhnen in Sachen NS-Verbrechen geht. Im Königreich gibt es kein einziges offizielles “Dokumentationszentrum des Franquismus”. Die Amnestie von 1977 verhindert, dass Täter der Diktatur vor Gericht gestellt werden. Das Geheimhaltungsgesetz macht es fast unmöglich, die Taten geschichtswissenschaftlich aufzuarbeiten. Ein Umgang mit dem Franco-Regime nach deutschem Maßstab darf nicht stattfinden, weil dann die Tage der Monarchie gezählt wären.
Felipe VI. verkörpert die institutionelle Kontinuität der Franquismus unter dem Mantel der parlamentarischen Monarchie. Seinen Posten bekam er von seinem Vater verliehen, als dieser wegen Steuerhinterziehung und diverser Skandale abdanken musste. Juan Carlos I. verdankt die Königswürde, dem Diktator Francisco Franco, der ihn testamentarisch als seinen Nachfolger einsetzte. Der Reformfranquist Adolfo Suárez sorgte 1978 dafür, dass die Wahlberechtigten beim Verfassungsreferendum nicht über die Monarchie als Staatsform abstimmen durften: Die Umfragen hatten ergeben, dass die Mehrheit der Befragten für die Rückkehr zur Republik votiert hätte. In der Summe gilt Felipe VI. als der politische Enkel Francos. Seine Anwesenheit multipliziert mit Null jegliche auch noch so gut gemeinte und formulierte Botschaft des Bundespräsidenten zur deutschen Schuld an der Zerstörung von Gernika.

(© Ingo Niebel, 2003)
Ein Zeichen wäre es gewesen, wenn Steinmeier sich nicht nur Pablo Picassos Antikriegsgemäle “Guernica” (1937) im Madrider Reina Sofía Museum angesehen, sondern dem spanischen Staat geholfen hätte, es nach Gernika zu überführen. Das grenzt jedoch an politischer Utopie: Die tiefgehende Polarisierung der spanischen Politik steht dementgegen.
Seinen Herzenswunsch, Gernika zu besuchen, mag Steinmeier sich erfüllt haben, aber zu einem hohen politischen Preis ist: Den Monarchen zwang er, ihn ins republikanisch fühlende Baskenland zu begleiten, und er selbst schadete dem Ansehen Deutschlands.

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