Kommunal- und Regionalwahlen spalten Spanien im Superwahljahr

Kommunal- und Regionalwahlen spalten Spanien im Superwahljahr

(berriak-news/Ingo Niebel) Die morgigen Wahlen in allen Kommunen und in 12 der 17 Autonomen Gemeinschaften des spanischen Königreichs gelten als Stimmungstest für die Parlamentswahl.

Nach zwei spanischen Wochen (sprich: 15 Tagen) endete in dieser Nacht der Wahlkampf in Spanien. Seit heute Samstag, 0 Uhr, befindet sich das Reich von König Felipe VI. im politischen Standby: Der Tag vor der Wahl heißt „día de reflexión“. Der „Tag des Nachdenkens“ soll der Wählerschaft die nötige Ruhe verschaffen, damit sie morgen eine möglichst überlegte Entscheidung treffen kann. Wer nicht per Brief gewählt hat, kann seine Stimme zwischen 9 Uhr und 20 Uhr im Wahllokal abgeben.

Über 35 Millionen Menschen mit Wahlrecht entscheiden darüber, wer sie ab Montag in den 8100 Kommunen vertreten wird. Landesweit werden alle Kommunalvertretungen neu gewählt. Die Regionalwahl hingegen betrifft lediglich 12 der 17 Autonomen Gemeinschaften sowie die Versammlungen der beiden spanischen Enklaven in Nordafrika Ceuta und Melilla.

Die morgigen Kommunal- und Regionalwahlen könnten richtungsweisend für Spanien sein. (© Ingo Niebel, 2009)

Postfaktisch durchs Superwahljahr

Dass der Wahlkampf das Land weiter polarisiert und gespalten hat, zeigte sich gestern bei den Abschlussveranstaltungen.

In Madrid präsentierte die postfranquistische Volkspartei (PP) ihr aktuelles Dreamteam. Parteichef Alberto Núñez Feijóo umgab sich mit der amtierenden Ministerpräsidentin der autonomen Gemeinschaft Isabel Díaz Ayuso und dem Oberbürgermeister der Hauptstadt, José Luis Martínez-Almeida. Die beiden Amtsinhaber hoffen auf ihre Wiederwahl, wenn möglich mit der absoluten Mehrheit der Stimmen. Feijóo wünscht sich Rückenwind für die noch nicht terminierte Parlamentswahl in diesem Jahr. Er möchte den sozialdemokratischen Premier Pedro Sánchez (PSOE) als Regierungschef ablösen.

Um das Ziel zu erreichen, scheint jedes Mittel gut genug zu sein, so auch der Griff zum Postfaktischen. In bester Trumpscher Manier malte Ayuso zu Beginn des Wahlkampfes den Teufel der baskischen Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, Baskenland und Freiheit) an die Wand. Die ETA hatte sich zwar vor fünf Jahren selbst aufgelöst, aber Spaniens Rechtsparteien benutzen sie weiter als ein wichtiges Element in ihrem staatszersetzenden Diskurs. Ayuso nutzte es, um von ihren Versäumnissen als regionale Regierungschefin abzulenken. Sie trägt zumindest politisch die Verantwortung für mehrere tausend Toten in den Madrider Altenheimen während der Pandemie. Die juristische oder parlamentarische Aufarbeitung findet jedoch nicht statt. Ungeahndet bleibt ebenfalls, dass ihre Regionalregierung hochdotierte Aufträge an Familienangehörige vergab. So kassierte Ayusos Bruder durch einen Maskendeal eine üppige Provision.

Wahlbetrug überschattet den Urnengang

Das Verhalten passt zur strukturellen Korruption des Landes. Obwohl just die PP die meisten korrupten Politiker:innen und Gerichtsverfahren mit dem größten finanziellen Schaden zu Ungunsten der öffentlichen Hand zu verantworten hat, präsentierte sich Feijóo als Saubermann, indem er die jüngsten Skandale der PSOE thematisierte.

Falls ihr Wahlkampf nicht zum gewünschten Ergebnis führen sollte, hat Ayuso vorgesorgt: „Sánchez wird so abtreten, wie er gekommen ist, mit einem Wahlbetrug“, zitiert sie das linksliberale Online-Portal Público. Die offensichtlich fehlende Logik paart sich mit den polizeilichen Ermittlungen wegen versuchter Wahlfälschung. Die bisher vier Untersuchungen richten sich, laut der rechtskonservativen Tageszeitung ABC, gegen 30 Verdächtige aus den Reihen von PSOE und PP in sieben Gebieten. In einem andalusischen Ort müssen zudem die Behörden aufklären, warum PSOE-Angehörige mutmaßlich eine ihrer eigenen Mandatsträgerinnen entführten.

Ein neofranquistisches Wahlprogramm für alle

Die neofranquistische VOX geriet ebenfalls in die Schlagzeilen, als die Polizei eine ihrer gutvernetzten Lokalpolitikerinnen wegen schweren Drogenhandels festnahm. Die Parteioberen, die gerne die Law & Order-Hardliner gegen Straftäter mit Migrationshintergrund mimen, duckten sich weg. Ansonsten zog es die PP-Abspaltung von Santiago Abascal vor, sich im Wahlkampf nicht allzu viel Arbeit zu machen: VOX präsentierte in allen Kommunen dasselbe Wahlprogramm, nur die Ortsnamen wechselten. Im Übrigen legte sie denselben Ton an den Tag wie die PP: Sánchez muss weg, egal wie; die Linken sowieso; und die baskische Unabhängigkeitskoalition EH Bildu gehöre eh wieder verboten.

Premier Sánchez versuchte dem Getöse von rechts, mit einer positiven Botschaft zu begegnen. Dabei hob er die Gesetze seiner Regierung vor, die das Leben der Menschen in der Dauerkrise erleichtern sollen. Die gesellschaftliche Mehrheit sorgt sich wegen der fast unbezahlbaren Mieten in den Ballungszentren, den galoppierenden Hypothekenzinsen, dem kaputtgesparten und stark privatisierten Gesundheitswesen sowie den durch die Inflation gestiegenen Lebenshaltungskosten bei niedrigen Löhnen.

Positive Wahl-PR und den Koalitionspartner spalten

„Was hat die Rechte vorgeschlagen?“, fragte Sánchez rhetorisch bei der Abschlussveranstaltung seiner Partei in Barcelona. „Nichts, außer den Gegner zu reizen und zu beleidigen“, antwortete er sich selbst. „Spanien tun die sozialdemokratischen Politiken besser als die neoliberalen“, fuhr er fort. Dass die PSOE den Wahlkampf in Barcelona beendete, hat mehrere Gründe: Einerseits möchte sie die linke Oberbürgermeisterin Ada Colau aus dem Amt verdrängen. Andererseits will Sánchez sich als der Politiker präsentierten, der das unabhängigkeitsbewegte Katalonien zurück in den Schoss des spanischen Staates geführt hat.

Die PSOE verfolgt dabei das Ziel nach den zukünftigen Parlamentswahlen möglichst alleine oder mit nur noch einem Koalitionspartner zu regieren. Eine Minderheitsregierung, wie sie seit 2020 im Amt ist, soll es nicht mehr geben. Sánchez‘ Exekutive konnte ihre Gesetzesvorlagen und den Haushalt nur umsetzen, weil baskische und katalanische Regionalparteien ihr dabei halfen. Jetzt will sich die PSOE aus der Klammer der linken Befürworter der Unabhängigkeit des baskenlandes und Kataloniens befreien.

Deshalb hat die Partei zuletzt nichts unterlassen, um die politische Konkurrenz links von ihr zu antagonisieren. In der Folge hat sich ihr Koalitionspartner Unidas Podemos (UP) quasi gespalten. Aus dem Linksbündnis ist die Strömung „Sumar“ (sammeln) hervorgegangen. An ihrer Spitze steht die Zweite Vizepräsidentin der Regierung und Arbeitsministerin Yolanda Díaz. Sie konkurriert mit ihren Kabinettskolleginnen von UP, Irene Montero und Ione Belarra. Die Protagonistinnen beendeten den Wahlkampf in getrennten Veranstaltungen. Spaniens Linke tritt in mehrere Formationen gespalten bei der Kommunal- und Regionalwahl in Madrid an.

Nach dem morgigen Urnengang wird Sánchez sich zum Termin der Parlamentswahl äußern müssen, die bis Anfang Dezember stattfinden muss. PP und VOX werden das Wahlergebnis nutzen, um das Image der Regierung Sánchez weiter zu diskreditieren. Spaniens Linke wird sich gezwungen sehen, über gemeinsame Listen oder weitere Alleingänge zu entscheiden.