Lockert die Kommunalwahl in Nordirland die politische Blockade?

Lockert die Kommunalwahl in Nordirland die politische Blockade?

(berriak-news/Ingo Niebel) Das Ergebnis der heutigen Kommunalwahl in Nordirland könnte die politische Blockade im Regionalparlament zu Stormont lockern. Seit mehr als einem Jahr blockieren die Unionisten die Regierungsarbeit.

Über 1,3 Millionen Wahlberechtigte bestimmen heute ihre Vertreter:innen in den elf Councils. Insgesamt werden sie 462 Ratsmandate vergeben. 2019 schritten 53 von 100 Wahlberechtigten zur Urne. Sie wählen keine Listen, sondern Personen. Deshalb verfügt jede wählende Person über genauso viele Stimmen, wie es Kandidaten in ihrem Wahlbezirk gibt. Dazu nummeriert sie die Angetretenen je nach Präferenz beginnend mit der Zahl eins durch. Das Wahlsystem heißt „übertragbare Einzelstimmgebung“ oder „single transferable vote“ (STV).

Verschiedene Faktoren beeinflussen die Wahl. Die Folgen des Brexit spielen eine gewichtige Rolle, da Nordirland zum Vereinigten Königreich von Großbritannien gehört. Einst unterstützte die stärkste Regionalpartei, die Democratic Unionist Party (DUP), die englische Regierung von Boris Johnson beim Austritt aus der EU. Sie glaubte, so liesse sich die Vereinigung der Region mit der Republik Irland ein für alle Mal verhindern.

Mit dem Brexit in die Blockade

Die nordirische Bevölkerung votierte aber mehrheitlich gegen den Brexit. Folglich verwandelte sie Wahl 2022 zum Regionalparlament, der Northern Ireland Assembly, in einen politischen Albtraum für die DUP: Zum ersten Mal in der Geschichte Irlands wurde Sinn Féin stärkste Kraft. Die Partei will den Norden mit dem Süden in einer Republik vereinigen. Das Projekt liegt im Rahmen des Möglichen, da irischen Republikaner auch in Dublin die größte Fraktion stellen. Nach dem Wahlsieg im Norden gilt die dortige SF-Vizevorsitzende Michelle O’Neill als designierte „First Minister“. Ihren Posten in Stormont kann sie aber nicht antreten, weil die DUP unter Jeffrey Donaldson die Regierungsbildung blockiert.

Lockert die Kommunalwahl in Nordirland die politische Blockade? Dann könnte Michelle O'Neill von Sinn Fein endlich Regierungschefin werden.
“Für alle arbeiten” will die Vizevorsitzende von Sinn Féin, Michelle O’Neill. Vielleicht
lockert die Kommunalwahl die Unionisten-Blockade im Parlament.
(© Ingo Niebel, 2023)

Diese Macht hat er, da laut dem Karfreitragsabkommen von 1998 die zweitstärkste Partei automatisch den Vize-Regierungschef stellt. Diesen Posten hatte O’Neill bis Februar 2022 inne. Dann trat Paul Givan (DUP) als „First Minister“ zurück. Mit seiner Dimission wollte er das Nordirland-Protokoll zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU im Sinne der Unionisten beeinflussen. Die politische Sabotage führte die DUP nach der Wahl im Mai 2022 weiter: Sie verhinderte, dass sich das neue Parlament konstituierte. Dazu blockierte sie die Wahl des Parlamentspräsidenten.

Die Blockadepolitik passte ins Konzept des damaligen britischen Premiers Boris Johnson. Seine Regierungsmacht ruhte auf den Stimmen der DUP. Nach dem Sinn Féin-Wahlsieg und Johnsons Rücktritt im Juli 2022 veränderten sich die Rahmenbedingungen für die Unionisten, obwohl die Konservativen weiterhin die Exekutive in London stellen.

Über den „secretary of state for Northern Ireland“ nimmt sie Einfluss auf die Politik in der Region. Den Posten des Staatssekretärs für Nordirland im Kabinett von Premier Rishi Sunak bekleidet seit Oktober 2022 der Konservative Christopher Heaton-Harris. Er hat die nordirischen Parteien ultimativ aufgefordert, bis Januar 2024 eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Andernfalls werde es binnen drei Monaten Neuwahlen geben.

Fingerzeig des Königs

Mit ihrer politischen Blockade hat die DUP sich in eine Zwickmühle manövriert. Ihre Haltung hat einerseits Premier Sunak nicht gehindert, im Frühjahr mit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein neues Nordirland-Protokoll (NIP) zu vereinbaren. König Charles III. gab symbolisch seinen Segen dazu, indem er im Anschluss an die bilateralen Gespräche die EU-Chefin empfing. Mit dieser Geste gab der Monarch die traditionelle Neutralität des Königshauses in der Regierungspolitik auf. Die königstreuen Loyalisten in Nordirland dürften sie als Fingerzeig ihres politischen wie religiösen Oberhauptes verstanden haben.

Um sein Gesicht zu wahren, meldete DUP-Vorsitzender Donaldson einerseits Bedenken an, andererseits sah er Fortschritte. Das NIP erlaubt dem Regionalparlament in Stormont mitzubestimmen, wie es zukünftig EU-Regeln anwenden möchte.

Damit hat London den Unionisten die neue Marschordnung und -richtung vorgegeben. Jetzt liegt es zum einen an den Parteien, zum anderen an ihrer Wählerschaft, ob sie diesem Weg einschlagen werden. Ihr gemeinsamer ideologischer Nenner besagt, dass sie loyal zum König und zum Königreich stehen. Deshalb schließen sie eine Vereinigung der sechs Counties des Nordens mit den sechsundzwanzig des Südens grundsätzlich aus. Die kleineren, radikalen Parteien mögen an dieser reinen Lehre des nordirischen Unionismus festhalten können; für die DUP ist das keine Option: Die Macht des politisch Faktischen und das Karfreitagsabkommen zwingen sie zur Zusammenarbeit mit der Sinn Féin.

Kommunalwahl als Lösungsmittel

Dieses ideologische No-Go könnte die Hardliner unter den Unionisten veranlassen, bei der Wahl heute ihre Präferenzen anders zu gewichten. Als Alternativen bieten sich die Ulster Unionist Party (UUP) von Doug Beattie und die Traditional Unionist Voice (TUV) von James Allister an. Letztere zöge es vor, wenn Nordirland von London aus regiert würde. Die DUP selbst zeigt sich gespalten: Das Gros ihrer Fraktion will in Stormont einen pragmatischeren Kurs an den Tag legen, während ihre Vertreter in Westminster auf der harten Linie beharren.

Für Unionisten, die eine Alternative zu den drei genannten Parteien suchen, bietet sich die Alliance Party of Northern Ireland (APNI) von Naomi Long an. Im Gegensatz zu ihren politischen Konkurrenten vertritt sie einen pragmatischeren Politikstil. Die Kommunalwahl wird zeigen, ob sie sich als liberale Alternative zur DUP wird durchsetzen können.

Den Unionisten gegenüber stehen die irischen Nationalparteien. Ihr gemeinsamer Nenner liegt in dem Ziel, den Norden mit dem Süden im Rahmen einer souveränen Republik Irland wiederzuvereinigen. Hierzu zählt neben Sinn Féin die Social Democratic and Labour Party (SDLP) von Colum Eastwood.

Blick auf 2024

Das Institute of Irish Studies der University of Liverpool sieht Sinn Féin als erste Kraft auf kommunaler Ebene. Gemäß ihrer Umfrage von Ende April, könnte O’Neills Formation 29,8% der Stimmen erhalten. Damit läge sie fast sieben Punkte vor der DUP. An der dritter Stelle rangiert die APNI mit 14,5%, gefolgt von UUP mit 12,8% und der SDLP mit 8,3%. Die TUV käme auf 5%. LucidTalk bestätigt die Tendenz mit einer eigenen Umfrage: 29% für Sinn Féin, 25% für die DUP. Demnach blieben die übrigen Parteien einen Prozentpunkt unterhalb des zuerst genannten Trends.

Zur Analyse des Wahlausgangs gehört ebenfalls, dass berücksichtigt wird, wie sich die Präferenzen der Wählenden in Bezug auf die zweite und dritte Partei ihres Vertrauens verteilen. Des Weiteren gilt das Ergebnis in der Hauptstadt Belfast als Prognose für die nächste Regionalwahl. Aufgrund des Wahlsystems spielt das Ranking der politischen Führungspersonen ebenfalls eine wichtige Rolle. 82% der Befragten bescheinigten O’Neill (SF), dass sie „ihren Job gut“ mache; 64% sagten das über Long (APNI). Mit 44% teilen sich die Chefs von SDLP, Eastwood, und UUP, Beattie, den dritten Platz. Das Schlusslicht bilden DUP-Führer Donaldson und TUV-Boss Allister mit jeweils 2%.