Schwere Anschuldigungen gegen Pablo González

Schwere Anschuldigungen gegen Pablo González

(berriak-news/Ingo Niebel) Das Portal agents.media erhebt schwere Vorwürfe gegen den Journalisten Pablo González, der seit 2022 in Polen inhaftiert ist. Es gibt die polnische Version der angeblichen Spionageaffäre zu einem Zeitpunkt wieder, an dem der internationale Druck auf Warschau wächst.

Screenshot des Artikels von agent.media über Pablo González (2.5.2023).

Fünfzehn Monate nach der Verhaftung des Freelancers hat die polnische Staatsanwaltschaft den Fall noch immer nicht vor Gericht gebracht. In einem Rechtsstaat ist es in der Regel am einfachsten, Spionagefälle vor Gericht zu bringen. Eine Person, die Spionage betreibt, arbeitet bekanntlich im Verborgenen. Das bedeutet, dass sie in der Regel erst dann entdeckt wird, wenn sie verraten wurde oder selbst einen schweren Fehler beging. Nach der Logik des Rechtsstaats muss daher zum Zeitpunkt der Verhaftung bereits ein Mindestmaß an Beweisen vorliegen, ohne die ein Richter keine Untersuchungshaft anordnen kann.

González, ein inhaftierter Journalist ohne Rechte

Im Fall von González, einem EU-Bürger mit spanischer und russischer Staatsbürgerschaft, scheint es umgekehrt zu sein: Zuerst nahm die polnische Spionageabwehr ihn Ende Februar 2022 unter dem Vorwurf, ein russischer Spion zu sein, fest; erst danach begann sie, nach Beweisen suchen. Bislang konnte sie auf die Kooperation des zuständigen Gerichts zählen, das sich weigerte, Gonzalez freizulassen. Stattdessen verlängerte es alle drei Monate die Untersuchungshaft.

Den Anschuldigungen steht der Journalist recht- und wehrlos gegenüber. Zum einen hat die polnische Staatsanwaltschaft noch immer keine stichhaltigen Beweise geschweige denn eine Anklageschrift vorgelegt, gegen die er rechtlich vorgehen könnte. Zum anderen befindet sich der EU-Bürger in einer Situation, die ihn seiner persönlichen Freiheit und der Ausübung seines Berufs, mit dem er eine Familie ernährt, beraubt.

In Zentral- und Westeuropa wird der Fall jedoch totgeschwiegen. Die politischen und medialen Eliten in der Europäischen Union ziehen es vor, ihn entweder zu ignorieren oder ihre Aufmerksamkeit auf den Fall des Wall Street Journal-Journalisten Evan Gershkovich zu richten. Der russische Spionageabwehrdienst hatte den US-Bürger Ende März verhaftet. Moskau konterkariert das westliche Medienecho im Fall Gershkovich mit dem von González. Er bietet sich für die russische Propaganda an, weil er die Heuchelei der EU in Sachen Presse- und Informationsfreiheit offenbart.

Tweet vom 27. April 2023 des russischen Außenministeriums zum Fall Pablo González.

Anschuldigungen eines anonymen Portals

Vor diesem Hintergrund hat das Online-Portal agents.media heute schwere Anschuldigungen gegen Gonzalez erhoben. Es präsentiert sich als “unabhängig” von den russischen (Staats-)Medien. Seine Texte erscheinen ausschließlich auf Russisch. Die Website enthält keine Informationen über das Medium oder seine Journalisten. Die Domain ist in Island registriert; die Identität des Eigentümers geschützt.

Der betreffende Artikel trägt den russischen Titel “Wahrscheinlicher GRU-Agent in Zhanna Nemzovas Umfeld”. Die Abkürzung bezieht sich auf den militärischen Geheimdienst Russlands. Zhanna Nemzova ist die Tochter von Boris Nemzov. Ihr Vater, der als “Putin-Kritiker” galt, wurde 2015 bei einem Anschlag in Moskau getötet. Sie leitet die Stiftung, die seinen Namen trägt.

Eine der beiden anonymen Quellen, auf die sich agents.media stützt, ist in dieser Einrichtung zu finden. Die andere ist eine “Bekannte von Nemzovs Tochter”.

Agents.media untermauert seine Anschuldigung mit drei Fotos, verschweigt aber deren Ursprung. Das erste Foto, das als Eyecatcher dient, zeigt angeblich Gonzalez mit bewaffneten Uniformierten im Rücken auf der Krim im März 2014. Damals annektierte Russland die Halbinsel, die bis dahin zur Ukraine gehörte. Das Bild versucht den Eindruck zu verwecken, als hätte González etwas mit der russischen Invasion zu tun.

Das zweite Bild zeigt ein Selfie von ihm mit Leuten von der Nemzov-Stiftung. Hieraus wollen die polnischen Ermittler einen weiteren Anklagepunkt konstruieren, wonach González die Stiftung ausspioniert haben soll. Das soll die anonyme Quelle aus dieser Einrichtung berichtet haben.

Auf dem letzten Foto, das aus dem Jahr 2008 stammen soll, trägt eine Person, die González sein soll, ein T-Shirt mit der russischen Abkürzung CCCP (UdSSR) in London. Neben ihm stehen – angeblich – sein Vater, seine Stiefmutter und seine Stiefschwester. agents.media verrät nicht, wie es an diese Fotos gelangt ist. Das wirft die Frage auf, ob sie von dem Computer stammen, den die polnische Spionageabwehr mutmasslich bei der Verhaftung des Journalisten im Jahr 2022 beschlagnahmt hat.

Ziel: Unterstützung der polnischen Position

Der Artikel will den polnischen Spionagevorwurf unterstützen, tritt aber ins Fettnäpfchen, wenn er schreibt: “Die Quelle weiß nicht, an wen González’ Nachrichten geschickt wurden, aber sie wurden als Berichte an Gonzalez’ Führungsoffiziere in den Geheimdiensten geschrieben” (Teilübersetzung durch deepL). Wenn die Quelle selbst sagt, dass sie nicht wisse, wer der Empfänger war, ist der Rest der Aussage reine Spekulation.

Dass die genannten Anschuldigungen Ermittlerkreise entspringen, offenbart agents.media, indem es schreibt: “Schließlich fanden die polnischen Ermittler Briefe von Boris Nemzow auf González’ Geräten(…)”. Das Portal führt weiter aus: Auch Zhanna Nemtsova hat die Fragen der Agentur nicht beantwortet und sich auf eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit den polnischen Behörden berufen.” Mit anderen Worten: Die polnische Spionageabwehr steuert das Narrativ.

Medialen Feuerschutz erhält die polnische Seite von der spanischen Zeitung El Mundo. Das Blatt übernimmt ungeprüft die Behauptungen von agents.media. Dabei nutzt es den Fall um eine noch offene Rechnung mit González wegen einer Kontroverse aus dem Jahr 2014 zu begleichen. Der Betroffene kann sich dagegen nicht wehren.

Vor kurzem hat die Unió de Periodistes Valencians González mit dem Llibertat d’Expressió-Preis ausgezeichnet. Internationale Organisationen, darunter Reporter ohne Grenzen und Amnesty International, unterstützen den Journalisten und prangern seine Situation in der Isolationshaft an.

Leave a Reply

Your email address will not be published.

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.