Das Baskenland wählt anders

Das Baskenland wählt anders

(berriak-news/Ingo Niebel) Die linke Unabhängigkeitskoalition EH Bildu wird erste politische Kraft im Baskenland. Ob sie auch überall Regierungsverantwortung übernehmen kann, hängt von der Sozialistischen Spanischen Arbeiterpartei (PSOE) ab.

Das Baskenland – und Katalonien – wählen anders als der Rest Spaniens.
(Quelle: ABC)

Am Tag nach der Kommunal- und Regionalwahl im Baskenland beeinflusst eine Entscheidung in Madrid die Regierungsbildung. Überraschend hat Premier Pedro Sánchez (PSOE) heute die ausstehende Wahl zum spanischen Parlament auf den 23. Juli 2023 terminiert. Er reagiert damit auf das verheerende Abschneiden seiner Partei am gestrigen Wahlsonntags.

Sánchez‘ Schritt bedeutet, dass ein wahlkampfbewegtes Spanien am 1. Juli die EU-Präsidentschaft übernehmen wird. Ob er so die erlittenen Verluste wettmachen kann, werden die Wählenden drei Wochen später zeigen. Im Baskenland dürfte entscheidend sein, wie sich die beiden Landesverbände PSE und PSN bei der Regierungsbildung in Kommunen und Land verhalten.

Wohin marschiert Sánchez’ Partei?

In der Foralen Gemeinschaft Nafarroa (span.: Navarra) müssen sich Sánchez‘ Parteifreunde von der PSN entscheiden, ob sie eine große Koalition mit der rechtskonservativen Navarresischen Volksunion (UPN) eingehen oder ob sie ihre Ministerpräsidentin María Chivite im Amt halten. Im ersten Fall würde die UPN als stärkste Fraktion mit Cristina Ibarrola die Regierungschefin stellen. Chivite bliebe im Amt, wenn sie ihre bisherige Dreierkoalition wiederholt und dabei EH Bildu berücksichtigt. Die Unabhängigkeitskoalition stellt neun Abgeordneten die drittstärkste Fraktion nach PSN (11) und UPN (15). Entscheidend wird sein, ob die PSN hilft, den EH Bildu-Kandidaten Joseba Ansiron zum Oberbürgermeister der Hauptstadt Iruñea (span.: Pamplona) zu wählen. Das letzte Wort hat auch hier die PSOE-Zentrale in Madrid, da die politische Entwicklung in Nafarroa eine Frage der Staatsräson ist. Gemeinsamer Nenner aller gesamtspanischen Parteien ist zu verhindern, dass sich die Provinz mit der benachbarten Autonomen Baskischen Gemeinschaft (ABG) zusammenschließt. Die spanische Verfassung sieht eine derartige Möglichkeit über ein Referendum vor.

Christdemokraten verlieren Hegemonie

Die Zeitung Gara und ihr Portal Naiz publizieren die Stimmen aller im südlichen Baskenland vertretenen Parteien bei der Kommunalwahl 2023. (Quelle: Naiz)

Das Ergebnis zeigt, dass weder die Schmutzkampagne noch die Unterstützung der Minderheitsregierung Sánchez’ der Unabhängigkeitskoalition Nachteile brachte. Im Gegenteil.

In der ABG schaffte EH Bildu, die politische Hegemonie der christdemokratisch geltenden Baskischen Nationalpartei (PNV) auf kommunaler Ebene zu brechen. In den Provinzhauptstädten Gasteiz (Vitoria) und Donostia (San Sebastián) könnten Rocío Vitori beziehungsweise Juan Karlos Izagirre die Bürgermeisterposten übernehmen, wenn die PSE-Fraktion mitzieht. Im Moment erscheint das unwahrscheinlich, weil die Sozialdemokraten als Juniorpartner der PNV die ABG mitregieren. Wie in Nafarroa hat die PSOE-Zentrale das letzte Wort. Bei der Anaylse der Wahlergebnisse wird sie berücksichtigen müssen, dass EH Bildu sich als linke Alternative hat etablieren können.

Mit Blick auf die Regionalwahl 2024 müssen die PNV von Ministerpräsident Iñigo Urkullu und Parteichef Andoni Ortuzar die Abwahl befürchten. Ihre mitgetragene Schmutzkampagne gegen EH Bildu entpuppte als ein Schuss in den Ofen: Die linken Unabhängigkeitsbefürworter meisterten sie mit Bravour und gingen gestärkt aus ihr hervor. Die baskische Gesellschaft wählt eben anders, als es sich die in Madrid Entscheidenden wünschen.

Der Wahlerfolg von EH Bildu zwingt die PNV, sich zu entscheiden: Entweder sie kehrt ins nationalbaskische Lager zurück und bildet eine gemeinsame Bewegung mit der linken Konkurrenz gegen den zu erwartenden Rechtsruck in Spanien. Oder sie versucht ihr Glück weiterhin mit der gesamtspanisch orientierten PSE. Ein Arrangement mit der PP in Madrid, wie einst in den 1990er Jahren, erübrigt sich bei einer post- und neofranquistischen Mehrheit.

Falls PP und VOX weiter ihre politische Kurzsichtigkeit in Sachen Baskenland (und Katalonien) pflegen, werden sie im Wahlkampf fordern, die Autonomie der beiden Gemeinschaften im Baskenland drastisch zu beschneiden. Vor Ort fehlt beiden Parteien jedoch die dafür notwendige Mehrheit. VOX verfügt über gar keinen Kommunalvertreter. Im Kreistag der Provinz Araba besitzt sie nur ein Mandat, im Parlament von Nafarroa nur zwei Sitze. Falls PP und VOX dennoch die baskischen Autonomie beschneiden wollten, wäre auch für die PNV eine rote Linie erreicht. Für eine Kooperation mit EH Bildu müsste sie aber ihr Führungspersonal neu aufstellen.

“Brexit-Moment” fürs Baskenland

EH Bildu hingegen kann der Entwicklung entspannter entgegensehen. Sie sieht den Machterwerb nicht als Priorität an: Sie will sich langfristig auf kommunaler Ebene verankern. Sie sieht darin die Grundlage für weitere Mehrheiten. Dabei setzt sie auf Allianzen, weil sie weiß, dass ihr Fernziel – eine unabhängige baskische Republik – noch nicht mehrheitsfähig ist. EH Bildu pflegt die Strategie, die Sinn Féin in Nord- und Südirland anwendet. Die irischen Republikaner fokussieren auf die Lösung sozialer Probleme, die dringender erscheinen als ihr Fernziel – die Vereinigung der beiden Landesteile. Letztere erscheint jetzt aber als realistischer Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere, die der Brexit verursacht hat. Auf dieses “Brexit-Moment” wartet EH Bildu. Es könnte sich mit dem Beginn einer PP-VOX-Regierung in Madrid im Juli einstellen.