Ohne Verrat kein Regierungsamt

Ohne Verrat kein Regierungsamt

(berriak-news/Ingo Niebel) Spaniens Oppositionsführer Alberto Núñez Feijóo benötigt die Stimmen von vier abtrünnigen Abgeordneten, um Regierungschef zu werden. Das Terrain für den Verrat hat die alte Garde der Sozialistischen Arbeiterpartei vorbereitet. Vom Regierungsamt hängt Feijóos politische Zukunft ab.

Eine Wahl als stärkste Partei zu gewinnen, führt nicht automatisch ins Regierungsamt. Dieser Erkenntnis widersteht standhaft der amtierende Oppostionsführer und Vorsitzende der postfranquistischen Volkspartei (PP), Alberto Núñez Feijóo. Seit der Parlamentswahl im Juli ignoriert er, dass zwischen ihm und dem Einzug in den Regierungspalast La Moncloa die Wahl durch das Parlament steht, wie es die meisten westlichen Demokratien pflegen. So auch in Spanien, dessen Verfassung von 1978 Elemente des deutschen Grundgesetzes übernahm. Ähnlich dem Bundespräsidenten schlägt der König von Spanien als Staatsoberhaupt dem Parlament einen Kandidaten vor. Felipe VI. entschied sich für Feijóo.

Der schwierige Weg ins Regierungsamt

Ob er der Bourbone mit der Auswahl richtig lag, wird sich am Mittwoch zeigen. Um den geschäftsführenden Premier Pedro Sánchez (PSOE) abzulösen, benötigt Feijóo 176 Stimmen. Im Augenblick kann er jedoch nur auf 172 Abgeordnete zählen. 137 gehören zur PP-Fraktion, 33 kamen über die Listen der neofranquistischen Vox von Santiago Abascal in den Kongress. Die regionalistischen Parteien Union des Navarresischen Volkes (UPN) und Coalición Canaria unterstützen den Kandidaten mit jeweils einen Abgeordneten.

Diesen Weg wollte die christdemokratische Baskische Nationalpartei (PNV) von Andoni Ortuzar nicht einschlagen. Ihre fünf Stimmen hätten die Entscheidung gebracht. Obwohl die PNV in der Vergangenheit schon mit dem PP inner- und außerhalb des Baskenlandes kooperiert hat, entgegnete sie auf die Avancen der PP diesmal mit einem sonoren „Ez“ (Nein). Angesichts der Regionalwahlen in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft 2024 und dem sich verstetigenden Abwärtstrend gegenüber der linken Unabhängigkeitskoalition EH Bildu wäre das einem politischen Selbstmord gleichgekommen. Der baskischen Wählerschaft hätte die PNV außerdem nur schwer vermitteln können, warum sie als Traditionspartei eine Zentralregierung unterstützen sollte, deren Juniorpartner Vox ihr mit dem Verbot droht.

Allein in Madrid

Feijóo befindet sich auch deshalb alleine im Hohen Haus, weil er während seines Wahlkampfes alle Brücken zu potenziellen Partnern abbrach. Damals trat er an, den „Sanchismo“ zu beenden. Nach der Abfuhr seitens des PNV rief er just Sánchez auf, er möge ihn doch mittels Enthaltung zum Regierungschef machen. Nach zwei Jahren gäbe es dann auch vorgezogene Neuwahlen, versprach er. Der „schöne Pedro“ ging auf das Angebot nicht ein; seine Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) schlachtete Feijóos Widersprüchlichkeit genüsslich aus.

In seiner Not bemüht der Oppositionsführer den Diskurs um die hochheilige Einheit der spanischen Nation und deren Unteilbarkeit. Mit Gratisreisen aus allen Teilen der spanischen Peripherie karrte die PP Demonstrationswillige am Sonntag nach Madrid. Dort manifestierten sie sich unter dem Absingen faschistischer Hymnen lautstark gegen die angedachte Amnestie der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter. Sánchez will sich damit die Unterstützung von Junts x Catalunya, der Partei des im Exil lebenden katalanischen Ex-Präsidenten Carles Puigdemont, sichern. Seine sieben Stimmen entscheiden im Augenblick, wer die spanische Regierung zukünftig führen wird. Obwohl die PP 2017 die Befragung zur Unabhängigkeit Kataloniens brutal niederknüppeln ließ – 900 Verletzte – und dessen Selbstregierung aussetzte, sprach sich Feijóo für Verhandlungen mit Junts aus. Seine Anhänger skandierten hingegen in Madrid: „Puigdemont in den Knast.“

Die alte Garde mobilisiert zum Verrat

Nach all den Absagen kann Feijóo sich dennoch Hoffnung machen: Der einsame Kandidat erhielt unerwartet Schützenhilfe von der alten sozialistischen Garde um Felipe González und Alfonso Guerra. Die Urgesteine der PSOE kritisierten Sánchez heftig ob seiner Kooperation mit den Unabhängigkeitsbefürwortern im Baskenland und Katalonien. Altpremier González steht unter dem Verdacht, jener Mister X zu sein, unter dessen Verantwortung der damalige Innenminister José Barrionuevo mit weiteren Sozialisten sowie Militärs und Polizisten die Todesschwadron GAL in den „schmutzigen Krieg“ gegen Basken führte. In den 1980er Jahren ermordete sie 27 Menschen. Ihre Taten wurden nur zu einem kleinen Teil geahndet. González selbst sass nie auf der Anklagebank. Folglich dient seine Attacke gegen Sánchez nicht nur dem Selbstschutz, sondern bereitet auch das Klima für den parteipolitischen Verrat aus den Reihen der PSOE-Fraktion vor.

Verrat liegt in der Luft

Im spanischen Politjargon spricht man von Tamayazo. Der Begriff geht auf den PSOE-Abgeordneten Eduardo Tamayo zurück. Zusammen mit seiner Kollegin María Teresa Sáez sabotierte er 2003 die Wahl des Parteigenossen Rafael Simancas zum Ministerpräsidenten der Autonomen Gemeinschaft von Madrid. Die beiden enthielten sich im zweiten Wahlgang. Dadurch fehlte dem Kandidaten die absolute Mehrheit. Daher wurden Neuwahlen nötig, die die Postfranquistin Esperanza Aguirre (PP) gewann. Tamayo und Sáiz bekamen zwar politisch kein Bein mehr auf den Boden, aber der Verrat zahlte sich anderweitig aus. Geld, Überzeugung, Erpressung und Ego veranlassen Menschen gemeinhin dazu, andere zu verraten.

Dieses Szenario erscheint im Augenblick der letzte Strohhalm, an den sich Feijóo noch klammern kann. Am heutigen Dienstag hat er die Möglichkeit, sich und sein Regierungsprojekt vorzustellen. Bisher wurde kein Koalitionsvertrag mit der Vox bekannt. Anschließend folgt die Aussprache. Am Mittwoch benötigt Feijóo im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit von 176 Stimmen, um Regierungschef zu werden. Falls er dieses Ziel verfehlt, wird am Freitag ein zweiter Wahlgang stattfinden. Dann würde ihm die einfache Mehrheit reichen. Scheitert er auch an dieser Hürde, bleiben dem Parlament zwei Monate Zeit, um einen neuen Kandidat zu benennen und zum Regierungschef zu wählen. Falls das nicht gelingen sollte, müsste der König das Parlament auflösen. Kurz darauf fänden Neuwahlen statt.