Ein Minister der spanischen Zentralregierung wird erstmalig bei der heutigen Gedenkfeier an die Bombardierung von Gernika zugegen sein. Seine Interpretation des Ereignisses skizziert die aktuelle sozialdemokratische Geschichtsklitterung.
Zum 86. Mal gedenken Menschen heute den Opfern des Bombenangriffs auf Gernika. Am 26. April 1937 zerstörte die deutsche Legion Condor die symbolträchtige Kleinstadt des Baskenlandes mit einem mehrstündigen Bombardement. Zur Seite standen ihr spanische und italienische Flieger.
Dieses Jahr werden wieder um 15.45 Uhr die zwei historischen Sirenen ertönen, die schon an jenem Montag die Bewohner und die Besucher des Marktes vor dem Angriff warnten. Für fünfzehn Minuten ruht dann der Verkehr im Stadtzentrum. Danach wird die offizielle Trauerfeier auf dem Friedhof am Stadtrand stattfinden. Daran teilnehmen Überlebende, ihre Angehörigen und Vertreter aus Politik und Diplomatie.
Spanischer Minister bei Gedenkfeier
Zum ersten Mal wird dann ein hochrangiger Vertreter der spanischen Zentralregierung neben dem baskischen Ministerpräsidenten Iñigo Urkullu (PNV) an der katholisch geprägten Zeremonie beteiligen. Laut spanischen Medien reist aus Madrid der Minister des Präsidialamtes Felix Bolaños an. Seine Position entspricht der des Chefs des Bundeskanzleramtes. Folglich gilt Bolaños als die rechte Hand von Premier Pedro Sánchez (PSOE). Außerdem zeichnet er verantwortlich für die Beziehungen zu den beiden Kammern des spanischen Parlaments und für die Memoria Democrática. Unter „demokratisches Erinnern“ versteht man in Spanien die Aufarbeitung der faschistischen Diktatur von General Francisco Franco (1936-1975).
Bolaños Anwesenheit erklären spanische Medien mit dem Druck, den die baskische Nationalpartei (PNV) 2022 auf Sánchez ausübte. Die Regionalpartei verlangte von ihm einen „Akt der Wiedergutmachung“ und eine „Bitte um Verzeihung“. Als Vorbild dient der christdemokratischen Formation der deutsche Bundespräsident Roman Herzog. DAs deutsche Staatsoberhaupt wandte sich 1997 in einem Brief an die Überlebenden der Bombardierung. Bisher hat sich noch jede Madrider Zentralregierung geweigert, sich in einer vergleichbaren Art der Vergangenheit zu stellen. Sánchez‘ Sozialistische Spanische Arbeiterpartei stellt keine Ausnahme dar.
Sozialdemokratische Geschichtsklitterung
„Jene Barbarei von 1937 beging nicht der spanische Staat, noch beging sie irgendeine legitime Regierung; es waren Putschisten“, entgegnete Bolaños letztes Jahr dem PNV. „Es war ein Staatsstreich gegen eine legitime Regierung; sie waren diejenigen, die jenes Bombardement der Stadt von Gernika anordneten, guthießen und feierten“, stellte er im Senat fest.
Mit seiner Interpretation der Zerstörung von Gernika ignoriert Bolaños, dass die seit 1978 existierende parlamentarische Monarchie aus Francos „Estado Español“ nahtlos hervorgegangen ist. Die Verfassung von 1978 markiert nur eine rechtliche Zäsur, aber keine politische: Der von Franco designierte Nachfolger Juan Carlos de Borbón y Borbón wurde spanischer König, ergo Staatsoberhaupt. Die Wählerschaft durfte nicht abstimmen durfte, ob sie Francos Wunsch folgen oder doch lieber zur 1936/1939 wegputschten Republik zurückkehren wollte.
1982 stellte die PSOE mit Felipe González erstmals den Premier im postfranquistischen Spanien. Seitdem hat die Arbeiterpartei den verfassungsrechtlichen Status Quo kompromisslos verteidigt. Deshalb hat sie bis auf ein paar Makulaturen wenig dazu beigetragen, dass die Franco-Diktatur wissenschaftlich, politisch und juristisch aufgearbeitet wurde. Jegliches Unterfangen dieser Art würde den Fortbestand des Staates in seiner jetzigen Form gefährden.
Zu den geschichtspolitischen Taschenspielertricks zählt die vorgestern erfolgte Exhumierung des Gründers der faschistischen Falange-Partei José Antonio Primo de Rivera. 2019 ließ die Regierung Sánchez den Leichnam Francos aus der franquistischen Wallfahrtsstätte Valle de los Caídos (Tal der Gefallenen) entfernen. Die rechtliche Grundlage dazu bietet das Erinnerungsgesetz. Die Toten fanden ihre letzte Ruhe in den jeweiligen Familiengräbern. Dennoch bleibt die Falange-Partei legal. Die Täter der Diktatur müssen auch keine Strafverfolgung befürchten. Und das Verschlusssachengesetz gilt weiterhin für alle Dokumente – selbst die der Diktatur – die einen Geheim-Vermerk tragen.
Wahltaktik als Erinnerungspolitik
Bolaños‘ Präsenz in Gernika passt zur Medialisierung der PSOE-Erinnerungspolitik. Darüber hinaus stellt sie eine wahlstrategische Geste gegenüber der PNV dar. Nach den Kommunal- und Regionalwahlen im Mai müssen bis Oktober die Parlamentswahlen stattfinden. Einen Termin gibt es noch nicht. Bisher regierte Sánchez mit dem linken Bündnis Unidas Podemos (UP). Die Minderheitsregierung erhielt die notwendigen Stimmen für ihre Gesetzesvorhaben und den Haushalt vonseiten der linken Unabhängigkeitsbefürworter im Baskenland und in Katalonien, der EH Bildu bzw. der Katalanischen Republikanischen Linken (ERC).
Aber im Augenblick gibt die PSOE zu verstehen, dass sie in dieser Konstellation nicht mehr weiterregieren möchte. Kürzlich hat sie ihren Koalitionspartner UP im Parlament öffentlich brüskiert. Dazu hat sie just mit der größten Oppositionspartei, der postfranquistischen Volkspartei (PP), das Gesetz zum Schutz von Frauen vor Vergewaltigung modifiziert. Es handelte sich um das Aushängeschild von UP. Das läßt vermuten, dass die PSOE die Strategie verfolgt, ihre nächste Minderheitsregierung lieber mit bürgerlichen Parteien abzusichern.
Insofern würde Bolaños‘ Anwesenheit in Gernika einen wahltaktischen Schachzug darstellen, um die PNV auf die Seite der PSOE zu ziehen. In der Autonomen Baskischen Gemeinschaft regiert sein Landesverband PSE als Juniorpartner der Christdemokraten mit. In der benachbarten Foralen Gemeinschaft Navarra geschieht ähnliches, aber unter umgekehrten Vorzeichen.
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