Semiotik der Uniform

Semiotik der Uniform

Im Call for Papers für die Tagung „Eine Fotografie. Über die transdisziplinären Möglichkeiten der Bildforschung“ hieß es: „Jeder kennt das Gefühl: Man entdeckt auf einem Flohmarkt ein altes Fotoalbum mit zauberhaften Fotografien, aber ohne irgendwelche schriftlichen Hinweise auf die abgebildeten Personen, Gegenstände oder Situationen. Forschungspraktisch gesehen, so die unter Historikern nach wie vor verbreitete Meinung, seien die Bilder damit wertlos: Kein Kontext – folglich auch keine nach wissenschaftlichen Kriterien verwertbare Quelle. Doch stimmt das wirklich? Gibt es nicht doch Möglichkeiten, mit Fotografien zu arbeiten, etwas aus ihnen herauszulesen, obgleich eigentlich keinerlei Informationen zur Bildquelle erkennbar sind?“ (1)

Diese Vorgabe empfand ich aus mehreren Gründen als eine Herausforderung. Zunächst fühlte ich mich als Geschichtswissenschaftler angesprochen, der es gewohnt ist, mit Bildquellen aus Archiven zu arbeiten. Dass Forscher und Benutzer sich dabei nicht immer auf die Bildlegenden verlassen können, zeigt unter anderem die Debatte über einige umstrittene Fotos, die in der ersten „Wehrmachtsausstellung“ gezeigt wurden. Als Historiker und Journalist habe ich aber erfahren, wie wichtig Fotos von Privatleuten für die Recherche sein können, obwohl sie nicht nach archivalischen Grundsätzen aufbewahrt wurden. Mit dieser Art von Material habe ich bereits vor dem Call for Papers gearbeitet, als ich anhand von Fotos aus der Familie versuchte, die Lebenswege meiner Großväter und ihrer Geschwister, besonders während der NS-Zeit, zu rekonstruieren. Ich fühlte mich dabei insofern verwöhnt, als die Bilder meistens beschriftet waren und sich mehr oder minder gut zeitlich einordnen ließen. Bis dato hatte ich aber noch nicht mit mir unbekanntem Material gearbeitet. So weckte der Call for Papers meine Neugierde.

Von der oben genannten Prämisse ausgehend, suchte ich auf der Verkaufsplattform Ebay mit den Begriffen „Soldat“, „Porträt“, „Weltkrieg“ nach mir unbekannten Soldatenporträts. Die Liste ergänzte ich um das Wort „Elite“. Den Grund hierfür werde ich weiter unten erklären. Willkürlich wählte ich fünf Porträts aus. Ihnen gemein war, dass ich zu Beginn meiner Recherche nicht wusste, um wen es sich handelte. Weder kannte ich die Herkunft noch die Verkäufer. Ebenso war mir der Kontext, in dem sie entstanden waren, unbekannt. Auf eine Kontaktaufnahme mit dem jeweiligen Anbieter verzichtete ich. Ich wählte jene Bilder aus, bei denen entweder die Beschreibung des angebotenen Porträts in scharfem Gegensatz zu dessen Inhalt stand oder die Uniform mein Interesse weckte. Von den ausgewählten Abbildungen machte ich Bildschirmfotos. Letztere umfassen nicht die gesamte Angebotsseite, sondern nur den Ausschnitt mit den für mich relevanten Informationen. Hierzu zählen neben der Beschreibung und dem Foto selbst auch die Bereiche, die der Verkäufer graphisch besonders hervorgehoben oder sogar verborgen hat. Alle diesbezüglichen Pfeile, Kritzeleien, Punkte und Copyright-Hinweise befanden sich bereits auf dem Foto, als ich den partiellen Screenshot anfertigte. Diesen habe ich lediglich zurechtgeschnitten und in einer druckfähigen Auflösung abgespeichert.

Bei der Analyse des Bildes stand die Suche nach den verborgenen Informationen im Vordergrund. Aufgrund der jeweiligen Darstellung auf der Seite und der Angaben des Verkäufers zu dem entsprechenden Foto bin ich davon ausgegangen, dass es sich um Originale handelt. Ich betrachtete das Bild aus der Perspektive eines potentiellen Käufers, der es unter Umständen ersteigern würde.

Bevor ich im folgenden Kapitel auf die angewendete Methodik eingehe, möchte ich noch auf einige grundlegende Punkte hinweisen, auf die ich aus Platzgründen nicht näher werde eingehen können, die aber nicht ungesagt bleiben sollen.

Wer sich entschließt, Soldatenporträts auf ihren versteckten Informationsgehalt hin zu untersuchen, muss sich bewusst sein, dass das weite Feld der Militaria, des Wissens über Uniformen, Orden und Abzeichen in der Regel „rechts“ besetzt ist. Die Spannbreite reicht von einer Betrachtungsweise, die jeglichen historischen Kontext vermissen lässt, über das Verherrlichen von Ordensträgern als „Kriegshelden“ sowie die Verharmlosung der NS-Gewaltverbrechen (Stichwort „Waffen-SS“) und des Vernichtungskrieges bis hin zum Revisionismus. Dass im Internet Geschichte umgeschrieben wird, ist nichts Neues; wie das auch auf Internetplattformen wie Ebay geschieht, werde ich anhand der feilgebotenen Soldatenporträts zeigen.

Auch möchte ich darauf hinweisen, dass die ausgewählten Fotos die uniformierte (NS-) „Volksgemeinschaft” zeigen, die sich mittels der Porträts ins Bild setzte und und so ihre „heile Welt“ vom Krieg kreierte. Ausgeschlossen bleiben jene Menschen, die die NS-Diktatur wegsperrte. Von ihnen entstanden bestenfalls dann Porträts, wenn sie als Häftlinge entweder ein Gefängnis oder Konzentrationslager betraten – oder wenn die Fotos ihrer toten Körper der SS als Anschauungsmaterial, wenn nicht gar als Trophäe dienten. Diese Art von Bildern fällt in den Bereich der Gefängnisfotografie, auf den ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen kann. (2)

Abschließend sei noch erwähnt, dass Ebay nur eine Verkaufsplattform ist, auf der entsprechende Bilder angeboten werden. Die Vermutung liegt nahe, dass dort Privatleute Nachlässe versilbern oder jene Fotos loswerden wollen, die bei gewerblichen Militaria-Anbietern kein Interesse gefunden haben. Letztere habe ich nicht mit in die Auswahl einbezogen, weil sie meistens versuchen, kontextualisierte Bilder zusammen mit anderen Quellen aus dem Leben einer ihnen bekannten Person zu verkaufen. Dabei können die geforderten Preise im vierstelligen Bereich liegen. Bei Ebay gibt man sich da bescheidener, obwohl es keine Seltenheit ist, dass Fotos mit NS-Bezug, deren Anfangsgebot einstellig war, auf zwei- und dreistellige Summen hochgesteigert werden.

Methodik

Ausgehend von Diethart Kerbs (3) quellenkritischem Schema zur Bildquellenforschung, das sich bei auf Ebay angebotenen Fotos nur eingeschränkt anwenden lässt, kommt hier zunächst eine Kombination der realienkundlichen Methode mit einer speziellen Art der Semiotik zum Einsatz: Diese „Semiotik der Soldatenuniform“ entschlüsselt mit Hilfe der Uniform- und Ordenskunde wesentliche Zeichen auf dem Foto. Hieraus ergeben sich ungefähre Zeitabschnitte, Ortsangaben und Fakten, die mittels der Suche auf sehr speziellen Internet-Seiten und -Foren sowie in der Literatur weitere Informationen zum einstigen Ereigniszusammenhang des Fotos liefern. Diese engen das Suchfeld ein, um die Person vielleicht doch noch identifizieren zu können.

Menschen mögen sich freiwillig zum Militärdienst melden können, aber sobald sie die Uniform angezogen haben, sind sie nicht mehr frei: Sie werden zu Einheiten versetzt und können sie sich in der Regel auch nur noch in deren Rahmen bewegen. Das vereinfacht die Lokalisierung des Fotos. Die Verortung des Bildes erfolgt einerseits über die Uniform, die Aufschluss über die Truppengattung und vielleicht auch über die Einheit gibt. Andererseits kann bei Porträts auch ein Hinweis auf den Fotografen weiterhelfen, das Foto geografisch einzuordnen.

Beides zusammen hilft, den Zeitrahmen zu verkleinern. Er umfasst zunächst den Zeitraum vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945. Er lässt sich im vorliegenden Fall auf 1935 bis 1945 reduzieren, da der Reichsadler als Hoheitszeichen auf Militäruniformen erst zwei Jahre nach der Machtübergabe an Hitler eingeführt wurde. Des Weiteren beruht er auf der Annahme, dass nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht keine derartigen Porträtaufnahmen mehr gemacht wurden. Den Zeitrahmen des Bildes kann man weiter eingrenzen, wenn man die abgebildeten Zeichen, vor allem die Orden, chronologisch ausgehend vom Zeitpunkt ihrer Stiftung ordnet. So führte Hitler zum Beispiel das Eiserne Kreuz erst bei Kriegsbeginn 1939 als Auszeichnung ein. In Kombination mit der Orts- und Einheitsrecherche kann man den Zeitraum unter Umständen noch weiter einkreisen.

In die Uniformkunde muss man sich einarbeiten. Im Internet, vor allem auf Wikipedia, finden sich Tafeln mit Diensträngen und Uniformen, die eine erste Hilfestellung geben. Dasselbe gilt für Orden und Auszeichnungen. Wichtig ist jedoch, dass man den Blick fürs Detail schärft und nicht den ersten Hinweis für bare Münze nimmt, sondern ihn anhand weiterer Quellen prüft. Widersprüchliche und unklare Aussagen, besonders bei Detailfragen, sind eher die Regel als die Ausnahme.

Auf dieser Basis ließe sich dann weiter im Internet und in Bibliotheken sowie in Archiven suchen, um die Person vielleicht doch noch identifizieren zu können. Für dieses Projekt habe ich aus Zeit- und Kostengründen auf eine Archivrecherche verzichtet und auch die Literaturrecherche in engem Rahmen gehalten. Trotzdem setzt diese Arbeit voraus, dass man sich in der Militärgeschichte auskennt und auch weiß, mit der Erinnerungsliteratur kritisch umzugehen.

Der „Soldat“, der keiner ist, sondern einer mörderischen SS-Einheit angehört

Abb. 1: „Portrait Foto Soldat 2. Weltkrieg“ – Ebay-Auktion. Bildschirmaufnahme, 4. März 2016, 18.49 h.

Direkt zu Beginn meiner Suche auf Ebay erregte das „Porträt Foto 14, Soldat 2. Weltkrieg“ meine Aufmerksamkeit, weil der Bildinhalt überhaupt nicht dem Titel dieser Auktion entsprach (Abb. 1).(4) Allein schon der Totenkopf, der in der Mitte der Schirmmütze unterhalb des nach links schauenden Reichsadlers prangte, wies den Uniformierten als Angehörigen der Schutzstaffel (SS) aus. Seit dem Nürnberger Prozess gilt die SS als eine „verbrecherische Organisation“. Das Zeigen und Verbreiten ihrer Symbole, wie z. B. der SS-Runen oder ihres Wahlspruches „Meine Ehre heißt Treue“, stehen in Deutschland unter Strafe. Des Weiteren hat die Geschichtswissenschaft bewiesen, dass es sich auch bei Angehörigen der so genannten Waffen-SS keineswegs um „normale“ Elite-Soldaten handelte, sondern um „Hitlers politische Soldaten“, die eng mit dem deutschen Vernichtungskrieg gegen die Völker Osteuropas und dem Holocaust verbunden waren. (5) Ausnahmen bestätigen hier die Regel.

Den aktuellen Forschungsstand zur SS bestätigt auch das vorliegende Porträt des SS-Angehörigen. Der Totenkopf auf seinem rechten Kragenspiegel weist ihn als Mitglied der „Totenkopf“-Verbände aus. Dabei handelte es sich um SS-Einheiten, die sich aus den Wachmannschaften der Konzentrationslager zusammensetzten. Sie unterstanden dem Inspekteur der Konzentrationslager, Theodor Eicke, der seine Untergebenen neben dem Wachdienst auch militärisch ausbilden ließ und sie ab 1939 bei diversen Militäroperationen anführte. Ihr menschenverachtendes Gebaren in den KZ nahmen sie mit auf die Schlachtfelder Europas. Mehrere Kriegsverbrechen an gegnerischen Soldaten und Zivilisten waren die Folge. Das Abzeichen auf dem rechten Kragenspiegel und die Schulterstücke des Porträtierten entsprechen dem eines SS-Unterscharführers (Unteroffizier).

Dieser ließ das Porträt bei dem Fotografen Jacob Emanuel Ludwigsen in Larvik (Norwegen) anfertigen, wie dem Aufdruck auf dem Passepartout zu entnehmen ist. In der Nähe liegt der Ort Sandefjord, wo nach der Eroberung Dänemarks und Norwegens ab Mai 1940 die 6. SS-Totenkopfstandarte mit drei Bataillonen und insgesamt 2.381 Mann stationiert war. Der Porträtierte zählte zu den 221 Unterführern. Im Februar 1941 entstand aus dieser SS-Standarte das motorisierte SS-Infanterie-Regiment 6. Mit der Umbenennung verschwand auch der Totenkopf auf dem linken Kragenspiegel. An seiner Stelle mussten die Angehörigen des SS-Regiments die bekannten Sig-Runen (SS) tragen.(6) Demnach wurde das Porträt zwischen Mai 1940 und Februar 1941 angefertigt. Wahrscheinlich wollte der SS-Unterscharführer damit seine Beförderung dokumentieren. Wenn diese, wie bei der SS üblich, an einem 20. April, Hitlers Geburtstag, erfolgte, könnte das Bild im Frühjahr/Sommer 1940 entstanden sein. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der porträtierte Totenkopf-Träger keine weiteren militärischen Auszeichnungen trägt.

Ergänzend sei hier erwähnt, dass nicht jede dunkle Uniform, auf der ein Totenkopf zu sehen ist, ihren Träger als Angehörigen der SS ausweist: Es kann sich auch um einen Panzersoldaten handeln, da sich diese Truppengattung in Anlehnung an die kaiserlichen Husaren ebenfalls mit dem Totenschädel (aber auf beiden Kragenspiegeln) schmückte. Ein solcher Fehler unterläuft jenem Ebay-Verkäufer, der ein „orig. STERBEBILD – DEATH CARD – JUNGER PANZER KOMMANDANT – ELITE TK UNIFORM“ für 25 Euro anbietet. (7) Das Kürzel „TK“ steht für „Totenkopf“ und spielt auf die gleichnamige SS-Division an; „ELITE“ ist die Chiffre, unter der auf Ebay Fotos mit SS-Bezug angeboten werden.

Elite“ – ein Codewort für die SS

Die Neukontextualisierung von auf Ebay angebotenen Fotos mit NS-Bezug umfasst gleichermaßen deren Beschreibung wie auch die Bilder selbst. Erstere mag dem (Un-)Wissensstand und der Intention des Verkäufers geschuldet sein, letztere erfolgt aufgrund der unklaren Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland im Schatten von §86 und §86a des Strafgesetzbuches und deren widersprüchlicher Auslegung durch hiesige Gerichte. Paragraph 86 stellt das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen und Paragraph 86a das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe. Das Staatsschutzdelikt kann mit Geldstrafe oder mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden. Strafbar macht sich, wer Kennzeichen genauer bezeichneter Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich verwendet oder wer Gegenstände, die derartige Kennzeichen darstellen oder enthalten, „im Inland oder Ausland (…) herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt“.(8)

In der Vergangenheit haben Staatsanwälte auch Menschen, die nachweislich antifaschistische Ziele verfolgten, unter §86a angeklagt, wenn diese zum Beispiel einen Aufkleber mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz benutzten oder vertrieben. Die Urteile wurden zwar meistens von einer höheren Instanz kassiert, aber das Verhalten der Justiz führte dazu, dass potentiell Betroffene auf Internetplattformen und im Geschäft entsprechende NS-Symbole abdecken oder per Bildbearbeitung unkenntlich machen. Manche gewerblichen Anbieter von Militaria gehen sogar so weit, dass sie in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen eine salvatorische Klausel aufgenommen haben.(9)

Abb. 2: „Portrait Foto 14, Soldat 2.Weltkrieg“ – Ebay-Auktion. Diesmal wurden alle SS-spezifischen Merkmale retuschiert. Bildschirmaufnahme, 21. Juli 2016, 08.10 h.

Die Rechtslage hat konkrete Folgen für die einschlägigen Angebote. Zum einen bleibt die Suche nach Bildern von SS-Angehörigen meistens erfolglos, wenn man als Suchwort „SS“ eingibt. Wer nach einschlägigen Fotos sucht, muss das Codewort „Elite“ verwenden. Zum anderen kritzeln Anbieter über das Bild des Angebots, um einschlägige Abzeichen ein wenig zu verunstalten. Andere gehen sogar soweit, alle Abzeichen abzudecken (Abb. 2). Das ist insofern kontraproduktiv, da Sammler den Wert eines solchen Fotos nach den abgebildeten Orden in Kombination mit der Uniform und dem historischen Kontext bestimmen.

Lächelnder „Volksgenosse” im Krieg

Abb. 3: „Portrait Foto 6, Soldat 2.Weltkrieg“ – Ebay-Auktion. Bildschirmaufnahme, 4. März 2016, 18.57 h.

Mit diesem Lächeln hätte der „Volksgenosse“ in Uniform auch Werbung für Zahnpasta machen können, kam mir in den Sinn, als ich dieses Angebot zum ersten Mal sah (Abb. 3).(10) Seine Mimik passt so gar nicht zu den übrigen Soldatenporträts. Denn diametral entgegengesetzt zu seinem Lächeln weisen ihn die zahlreichen Orden als „fronterfahren“ aus. Versierte Zeitgenossen hätten sofort erkannt, dass er sich seine Meriten nicht in der Etappe, sondern im Kampf an „vorderster Front“ verdient hat. Wahrscheinlich war es dieser versteckte Gegensatz, der mein Interesse an dem Porträt weckte.

Der Anbieter bot das Bild zunächst offen feil, ohne die vier Orden auf der linken Jackenhälfte abzudecken, dann stand es eine Zeitlang „geweißt“ zum Kauf, um schließlich wieder in der ersten Version zu erscheinen. Letzteres war möglich, da kein Hakenkreuz sichtbar ist, solange man nicht in das Foto zoomt. Kundige wissen jedoch, auf welchem Orden sich das NS-Symbol befinden muss, um echt zu sein.

Das Interessante an dem Foto ist, dass der Porträtierte den Betrachtern seinen militärischen Werdegang erzählt. Der individuelle Kriegsverlauf „en miniature“ lässt sich anhand der Orden auf der Bandschnalle und jener in Metall entschlüsseln: Der ungewöhnliche Schnitt der Uniformjacke – Sturmgeschütz-Bluse oder auch „Panzerjacke“ genannt – in Kombination mit Hemd und Schlips lässt vermuten, dass der Soldat bei einer gepanzerten Einheit des Heeres diente. Genauer wüsste man es bereits auf dem ersten Blick, läge das Porträt nicht in Schwarzweiß, sondern farbig vor. Dann könnte man anhand der „Waffenfarbe“, mit der das Abzeichen auf dem Kragenspiegel unterlegt ist, erkennen, welcher Truppengattung er angehörte. Das Rangabzeichen auf dem Schulterstück entspricht dem eines Oberfeldwebels.

Im oberen Knopfloch seiner Jacke trägt er das Band des Eisernen Kreuzes II. Klasse. Das Eiserne Kreuz I. Klasse hängt in der Mitte der linken Jackenhälfte. Direkt zu Kriegsbeginn führte Hitler das Eiserne Kreuz als Tapferkeitsauszeichnung (in verschiedenen Stufen) wieder ein, die aber Soldaten vorbehalten war. Damit wurde erwiesene „Tapferkeit vor dem Feind“ ausgezeichnet. Rechts davon, fast in der Armbeuge verschwunden, sieht man das zivile Reichssportabzeichen. Es war der Vorläufer des heutigen Deutschen Sportabzeichens und damals wie heute eine Voraussetzung für die Karriere als Berufssoldat.

Dem Reichssportabzeichen folgt im Uhrzeigersinn zuerst das allgemeine Sturmabzeichen, das ab 1940 auch an Panzer-Soldaten verliehen wurde. Die Verleihung setzte voraus, dass der Betreffende an drei verschiedenen Kampftagen an drei Sturmangriffen in vorderster Linie mit der Waffe in der Hand in feindliche Stellungen einbrechend beteiligt gewesen sein musste. Ab 1943 wurden fünf Stufen des Sturmabzeichens eingeführt. Ab der 2. Stufe wurde es mit der Einsatzzahl getragen, die mit 25 begann und sich dann in 25er-Schritten je nach Klasse fortsetzte. Die entsprechende Zahl befand sich in einem kleinen Kästchen in der Mitte des unteren Randes. Ob der porträtierte Soldat die einfache Ausführung des Sturmabzeichens oder eine höhere mit Einsatzzahl trug, lässt sich nicht erkennen, da der Ärmel die entsprechende Stelle abdeckt. Dann kommt das Verwundetenabzeichen. Das NS-Regime stiftete es ebenfalls zum Kriegsbeginn am 1. September 1939. Damit zeichnete es Soldaten aus, die im Kampf verwundet wurden oder schwere Erfrierungen erlitten hatten. Nach ein bis zwei Verwundungen erhielt ein Soldat das Abzeichen in Schwarz, bei drei- und viermaliger Verwundung in Silber und darüber hinaus in Gold. Im vorliegenden Fall könnte es sich um die Ausführung in Schwarz handeln.

Oberhalb des Eisernen Kreuzes I. Klasse sieht man die Bandschnalle mit vermutlich drei Auszeichnungen. Bei der ersten von links dürfte es sich um die Dienstauszeichnung der Wehrmacht mit aufgesetztem Reichsadler handeln. Sie wurde ab 1936 an alle Wehrmachtsangehörigen verliehen, die mindestens vier Jahre gedient hatten. Ihr folgt die Bandschnalle zur so genannten „Ostmedaille“, im Volksmund auch „Gefrierfleischorden“ genannt. Hitler stiftete die Medaille „Winterschlacht im Osten 1941/42“ am 26. Mai 1942. Sie sollte verliehen werden als „Anerkennung für Bewährung im Kampf gegen den bolschewistischen Feind und den russischen Winter 1941/1942 innerhalb des Zeitraums vom 15. November 1941 bis 15. April 1942“.(11) Die letzte Auszeichnung lässt sich nicht bestimmen, da die Farben sich in den Grautönen verlieren.

Die Lokalisierung erfolgt durch den Aufdruck des Fotografen „H. Elmsaard Viborg“. Viborg ist eine Kleinstadt in Norddänemark. In ihrer näheren Umgebung lagen seit Anfang 1944 verschiedene Einheiten der Sturmgeschütz-Ersatz- und Ausbildungs-Abteilung 400.(12) Sie blieb bis Kriegsende in Dänemark beziehungsweise Norddeutschland stationiert. Ob das auch für den dekorierten Kriegsteilnehmer gilt, lässt sich ohne weitere Recherchen nicht sagen. Man kann aber annehmen, dass das Bild zwischen 1944 und 1945 entstanden ist.

Über das Motiv, sich von einem Profi porträtieren zu lassen, darf man spekulieren: Am wahrscheinlichsten erscheint die Beförderung zum Oberfeldwebel oder die Verleihung des Eisernen Kreuzes I. Klasse, da es der höchste Kriegsorden ist, den der unbekannte Soldat trägt. Der Fotograf setzte den Sturmgeschützsoldaten so in Pose, dass alle wichtigen Auszeichnungen ins Bild kamen. Aber vielleicht trifft keine der beiden Annahmen zu, sondern der Oberfeldwebel hatte einfach erst 1944/45 die Möglichkeit, ein professionelles Porträt anfertigen zu lassen. Seine „Ostmedaille“ besagt, dass er als Angehöriger der „kämpfenden Truppe“ zumindest 1941/42 am Krieg gegen die Sowjetunion teilgenommen hatte. Daher wäre es auch denkbar, dass er seinen Angehörigen schlicht ein Lebenszeichen im Glanze seiner Orden und als Ausdruck seines ganz persönlichen „Kriegsglücks“ schicken wollte: Im Vergleich zur hoffnungslosen Lage an der Ostfront konnte er sich 1944 in Dänemark in relativer Sicherheit schätzen. Vielleicht erklärt das sein Lächeln.

Der „TOP General“, der seine Geheimnisse bewahrt

Abb. 4: „TOP General hoher Offizier Portrait Foto“ – Ebay-Auktion. Bildschirmaufnahme, 4. März 2016, 19.02 h.

Auch bei dem Angebot „TOP General hoher Offizier Portrait Foto“ war es der Widerspruch zwischen Titel und Bildinhalt, der mich veranlasste, dieses Foto auszuwählen (Abb. 4).(13) Zum einen gibt es keine allgemeine Definition, die besagt, wann ein General als „TOP“ zu gelten hat. Hinzu kommt, dass diese Offiziersklasse fünf Ränge umfasst, die von einem Generalmajor bis hinauf zu einem Generalfeldmarschall reichen. Zum anderen muss man berücksichtigen, dass es allein bei Heer und Luftwaffe über 4.400 Offiziere gab, die einen Generalsrang innehatten.

Bei der abgebildeten Person handelt es sich vermutlich um einen Generalmajor des Heeres, auch wenn sich das entsprechende Abzeichen auf dem Schulterstück nicht genau erkennen lässt. Das (goldene) Eichenlaub auf dem (roten) Kragenspiegel und seine Schulterstücke weisen ihn als jedenfalls als einen Offizier im Generalsrang aus. Auf seiner rechten Brust prangt der Reichsadler in der Ausführung, wie ihn Angehörige des Heeres trugen. Weitere identifizierende Symbole sind auf dem Foto nicht zu sehen. Der Hintergrund lässt vermuten, dass es sich hierbei um ein Foto handelt, das im privaten Umfeld entstanden ist. Andernfalls hätte sich der Offizier sicherlich von seiner linken Seite gezeigt, wo auch er die Orden trüge, die seinen militärischen Werdegang widerspiegeln. Aufgrund fehlender Informationen war eine geographische Verortung des Fotos nicht möglich.

Eine erste Recherche im mehrbändigen biographischen Lexikon „Die Generäle des Heeres“ erwies sich als ein Fehlschlag, nicht zuletzt, weil das Werk mit dem Buchstaben „Laz“ endet.(14) Daraufhin lud ich das Porträt in die Bildersuche von Google und hatte einen Treffer.(15) Ein russisches Form identifizierte den Gesuchten als den General der Infanterie Alexander von Hartmann. Eine Gegenrecherche im Internet und der Eintrag im oben genannten Lexikon bestätigten den Namen.

Am 1. Januar 1941 wurde der langjährige Berufsoffizier von Hartmann zum Generalmajor befördert. Ende März übernahm er das Kommando über die 71. Infanteriedivision, die im Juni 1941 am Überfall auf die Sowjetunion teilnahm. Im November musste seine Einheit im Westen aufgefrischt werden. Ab dem Frühjahr 1942 führte von Hartmann seine Division als Teil der 6. Armee durch Südrussland bis nach Stalingrad. Dafür erhielt er im Oktober 1942 das Ritterkreuz zum Eisernen Kreuz. Zwei Monate später erfolgte die Beförderung zum Generalleutnant. Im Kessel von Stalingrad suchte er im Januar 1943 den Tod, da er sich weder ergeben noch selbst erschießen wollte. Diese Haltung erwartete Hitler von seinen Offizieren. Deshalb erhob er von Hartmann noch posthum in den Rang eines Generals der Infanterie.

Diese Umstände lassen annehmen, dass das Foto möglicherweise zeitnah zu von Hartmanns Beförderung zum Generalmajor in der ersten Hälfte 1941 entstand. Spätere Aufnahmen zeigen hingegen einen Offizier, der körperlich derart abgebaut hat, dass man sich fragen muss, ob es sich noch um ein und dieselbe Person handelt.

Der Luftwaffenpilot, der schweigend von seinen Taten erzählt

Bei diesem Soldaten waren es seine Haltung und der Erinnerungs-Ärmelstreifen sowie ein seltsamer Fleck auf dem linken Rockaufschlag, die mich innehalten ließen (Abb. 5).

Abb. 5: „Foto 2 WK, Portrait Pilot, Orden, Stoffab. Flugzeugführer, Aermelband Hindenburg“ – Ebay-Auktion. Bildschirmaufnahme, 4. März 2016, 19.06 h.

Der nach rechts schauende Reichsadler mit seinen geschwungenen Flügeln und dem Hakenkreuz in einer Klaue weist den Porträtierten als Angehörigen der Luftwaffe aus. Die Kragenspiegel und Schulterabzeichen geben ihm den Rang eines Unteroffiziers. An seiner linken Seite trägt er einen Dolch, der nur knapp zu sehen ist. Ab 1935 war es Angehörigen der Luftwaffe gestattet, diese Waffe zu tragen. Sie diente eher der Dekoration, als dass sie eine praktische Funktion erfüllt hätte.

Ebenfalls links trägt er eine vertikale Reihe an Auszeichnungen, die Aufschluss über seinen militärischen Werdegang geben, wenn man sie von unten nach oben aufschlüsselt. Kurz überhalb des Koppels sieht man das Flugzeugführer-Abzeichen, das ihn als Pilot ausweist. Direkt darüber hängt das Eiserne Kreuz I. Klasse. Das setzt voraus, dass ihm zuvor das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen wurde. Diese Tapferkeitsauszeichnung trägt er als Bandschnalle darüber. Die sogenannte Frontflugspange krönt die Ordensreihe. Letztere hatte der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Reichsmarschall Hermann Göring, im Januar 1941 gestiftet. Sie sollte ein „sichtbares Zeichen der Anerkennung für Bewährung beim Fronteinsatz in der Luft“ sein. Zu den Verleihungsbedingungen gehörte, dass man zwanzig Frontflüge absolviert haben musste, um zumindest die Ausführung in Bronze zu erhalten. Folglich kann das Bild nicht vor Februar 1941 aufgenommen worden sein.

Die Lokalisierung erfolgt bei diesem Porträt nicht über den Fotografen, da entsprechende Hinweise fehlen, sondern zuerst über den Ärmelstreifen. Trotz der schlechten Auflösung kann man dort den Namen „Hindenburg“ lesen. Er verweist auf das Kampfgeschwader 1, das im April 1936 in Greifswald aufgestellt wurde. Sein Name geht auf den verstorbenen Reichspräsidenten und „Kriegshelden“ des Ersten Weltkriegs, Paul von Hindenburg, zurück. Als ich das Bild genauer analysierte, fragte ich mich, ob es sich bei dem seltsamen Fleck am linken Revers der Uniformjacke um ein Staffelabzeichen handeln könnte. Eine Suche per Internet bestätigte die Vermutung. Die 4. Staffel des Kampfgeschwaders 1 führte als Emblem einen Bullen, der auf einer fallenden Bombe steht und aus seinen Nüstern drei Blitze nach unten schleudert. Daher hieß sie auch die „Bullenstaffel“. Im August 1944 wurde sie aufgelöst. Das Porträt muss demnach zwischen dem Frühjahr 1941 und dem Spätsommer 1944 entstanden sein.

Dass der Pilot seine Dienst- und nicht seine Ausgehuniform trägt sowie dass sich ein Schatten hinter seiner linken Schulter befindet, spricht dafür, dass er dieses Foto möglicherweise auf einem Feldflughafen aufnehmen ließ. Luftwaffeneinheiten verfügten vielfach über die Möglichkeit, Bilder selbst zu entwickeln. Anlass für dieses Porträt dürfte die Verleihung des Eisernen Kreuzes I. Klasse gewesen sein.

Eine Recherche in zwei Büchern über das Kampfgeschwader 1 halfen nicht, seine Identität aufzuklären. In einem reichbebilderten Werk scheint es so, als könnte er zur Besatzung eines Oberfeldwebels Raczkowski gehört haben.(16) Jemand bezahlte 57,40 Euro für das Porträt.

Der „Elite Soldat“, der keiner ist

Abb. 6: „Foto 2 WK, Elite Soldat Einheit Turkistan, Stoff Abzeichen, Muselmanische Division“ – Ebay-Auktion. Bildschirmaufnahme, 4. März 2016, 19.396 h.

Bei der Suche auf Ebay mit dem Schlüsselwort „Elite“ fand ich zufällig das „Foto 2 WK, Elite Soldat Einheit Turkistan, Stoff Abzeichen, Muselmanische Division“ (Abb. 6). Auch in diesem Fall war es der Widerspruch zwischen Aussage des Verkäufers und dem Bildinhalt, der mich genauer hinschauen ließ. Wie der Titel schon sagt, ist es dem Anbieter sehr wichtig, das Abzeichen und die Herkunft des Soldaten hervorzuheben. Deshalb verweist er mit einem per Hand aufgemalten roten Pfeil auf das Stoffabzeichen und schreibt ebenfalls in Rot hinzu: „extrem selten“. Letzterem kann ich zustimmen, seiner Bildbeschreibung jedoch nur teilweise. Es handelt sich wahrscheinlich um einen „Turkmenen“, der im Zweiten Weltkrieg in der Wehrmacht diente, aber nicht in einer „muselmanischen“ Division. Schon gar nicht gehörte er einer militärischen Elite-Einheit an oder zur SS, falls der Verkäufer mit der Chiffre „Elite“ darauf anspielen wollte.

Abb. 7: Stoffabzeichen „Biz alla Bilen“ wie es 1943/44 beim Nachschub-Bataillon 144 getragen wurde. Nachlass Franz Niebel, Biz alla Bilen Abzeichen 1943-00.jpg.

Das Stoffabzeichen kannte ich nur zur gut: Es gehört auch zum Nachlass meines Großvaters Franz Niebel (Abb. 7). Er diente ab Juni 1943 beim Nachschub-Bataillon 144. Dieses bestand aus insgesamt sechs Kompanien. Die sechste hieß die turkestanische Kompanie. Dort bekleidete mein Großvater den Rang eines Unteroffiziers. Auf privaten Fotos, die unter anderem die Ausbildung der nichtdeutschen Soldaten im polnischen Janow zeigen, sieht man ihn, aber auch andere deutsche Soldaten, mit dem Abzeichen auf dem rechten Ärmel (Abb. 8). Ein Bataillons- oder Kompanieabzeichen zu tragen, war beim Heer nicht üblich. Der Spruch „Biz alla Bilen“ heißt auf Deutsch so viel wie: „Wir, die Allah kennen.“ Nach den schweren Verlusten in den ersten beiden Jahres des Krieges gegen die Sowjetunion sah sich die Wehrmacht gezwungen, auch Soldaten aus Völkern zu rekrutieren, die nicht dem ideologischen Weltbild vom „arischen Herrenmenschen“ entsprachen und zuvor noch als „sowjetische Untermenschen“ galten. So kam es zur Aufstellung verschiedener Einheiten, deren Angehörige zuvor auf dem Gebiet der Sowjetunion gelebt hatten.

Abb. 8: Unteroffizier Franz Niebel (l.) mit zwei Kameraden in Janow (Polen) 1943. Er trägt das Stoffabzeichen „Biz alla Bilen“ auf seinem rechten Ärmel. Fotoarchiv Franz Niebel, Bild 1080476.jpg.

Anhand des Nachlasses, zu dem neben den Fotos auch ein Taschenkalender aus dem Jahr 1943 gehört, habe ich den Einsatz des Nachschub-Bataillons 144 von 1943 bis 1945 rekonstruieren können. Einträge aus dem Sommer 1943 verweisen darauf, dass Teile der Einheit an der Festnahme und Exekution von „Partisanen“ beteiligt waren. So hießen in der Sprache der NS-Dikatur nicht nur bewaffnete Zivilisten, sondern auch geflüchtete Juden. „Partisanen“ wurden in der Regel sofort erschossen. Die von meinem Großvater festgehaltenen Fakten ereigneten sich einige Wochen, nachdem die SS im Mai 1943 das Warschauer Ghetto dem Erdboden gleichgemacht hatte und so den jüdischen Aufstand gegen die Transporte in die Vernichtungslager niederschlug. Nur wenige Juden entkamen dem Massaker. Knapp einen Monat später bezog das Nachschub-Bataillon 144 sein Ausbildungslager in Janow, das nicht allzu weit von Warschau entfernt lag. Im November 1943 wurde die Einheit an die Front um Leningrad verlegt. Im Verlauf der sowjetischen Sommer-Offensive 1944 wurde es schließlich auf der baltischen Halbinsel Kurland eingekesselt. Bei Kriegsende versuchten die turkmenischen Soldaten, sich in den Wäldern vor der roten Armee zu verstecken, während die deutschen Wehrmachtsangehörigen wie mein Großvater in Kriegsgefangenschaft gingen.

Da das Porträt des Turkmenen einen leichtgekleideten Soldaten zeigt, muss es entweder im Sommer 1943 oder 1944 entstanden sein. Die Bahngleise im Hintergrund und der neben ihm sitzende, kaum wahrzunehmende Soldat lassen vermuten, dass dieses Bild vor oder während eines Truppentransports auf einem offenen Waggon entstanden sein könnte. Das Dienstgradabzeichen am Kragenspiegel und das Schulterstück weisen ihn als „stellvertretenden Gruppenführer“ aus. Falls das Abzeichen am Kragen auf einer dunkelgrünen Unterlage abgebildet war, gehört der Soldat den Schutzmannschaften an; war es hingegen „artillerie-rot“, diente er in den Sicherungsverbänden. Laut Vorschrift durfte er ein Hoheitsabzeichen in Form des Reichsadlers nicht tragen.(17) Die Versteigerung des Fotos brachte dem Verkäufer 100,- € ein.

Fazit

Die fünf Beispiele zeigen, wie sich deutsche Soldatenporträts aus dem Zweiten Weltkrieg einerseits ansatzweise rekontextualisieren lassen, wenn man weiß, wie sich die Semiotik der Uniform entschlüsseln lässt. Andererseits demonstriert ihr Verkauf auf Ebay, wie diese Bilder durch die Beschreibung seitens der Anbieter einen neuen Kontext erhalten, der gelegentlich im scharfen Gegensatz zum Bildinhalt stehen kann. Der Gebrauch des Wortes „Elite“ als Chiffre für SS-Angehörige treibt die Neukontextualiserung auf die Spitze, da sie Revisionisten Tor und Tür öffnet, deren Anliegen es ist, die Geschichte der NS-Diktatur umzuschreiben.

Am Ende dieses Beitrags drängt sich natürlich die Frage auf, ob sich die unbekannten Soldaten nicht doch noch eindeutig identifizieren lassen. Die z. Zt. rechtlich und technisch möglichen Wege haben, wie die Bildersuche per Google gezeigt hat, nur in einem Fall zum Erfolg geführt. Einfacher und vielleicht erfolgversprechender wäre es, wenn man bei der Deutschen Dienststelle (18) in Berlin eine computergestützte Suche ohne Kenntnis von Namen, Geburtsdaten und der letzten bekannten Einheit durchführen könnte. Dafür fehlen aber die rechtlichen wie technischen Grundlagen. Die Deutsche Dienststelle entstand 1939 im Bereich des Oberkommandos der Wehrmacht und hieß damals Wehrmachtauskunftstelle für Kriegsverluste und Kriegsgefangene (WASt). Zu ihrem Datenmaterial gehört auch ein Verzeichnis von über 18 Millionen Menschen, die im Zweiten Weltkrieg einer militärischen oder paramilitärischen Einheit angehört haben. Eine Digitalisierung des umfangreichen Bestandes läuft zur Zeit. Selbst wenn alle diese Informationen Forschenden offenstünden, dürfte man keine zu hohen Erwartungen haben, da die Richtigkeit der dortigen Angaben zur Verwendung eines Soldaten sehr stark von der historischen Wahrheit abweichen können. Das liegt daran, dass zum einen die Einheiten eine Versetzung nicht immer weitermeldeten, zum anderen können Angaben zu einer Person meist von ihr selbst oder von Angehörigen stammen. Im Fall meines Großvaters mütterlicherseits ist zum Beispiel dort nur seine Einberufung 1939 verzeichnet. Die Daten über seinen weiteren Dienst bis 1945 als Angehöriger der Luftwaffe fehlen dort gänzlich. Bei ihm hätte die invertierte Suche über die Informationen aus der semiotischen Analyse eines Soldatenporträts nichts erbracht.

Aber vielleicht ist es im Moment gar nicht so wichtig, die Personen zu identifizieren, sondern die Diskussion über den Umgang mit dem fotografischen Erbe, das die Generation der so genannten „Kriegseltern“ hinterlassen hat, fortzuführen.(19) Das geschieht vor dem Hintergrund, dass das vom NS-Regime gesteuerte Bild von Diktatur und Krieg die in den Bundes-, Landes- und Agenturarchiven verwahrte NS-Pressefotografie dominiert. Diesem gilt es, falls möglich, einen Bilderfundus aus der Perspektive der „Knipser“ entgegenzusetzen. Ob die privaten Aufnahmen von Alltag und Krieg als Alternative dienen können, bedarf der weiteren Überprüfung. Diesen Weg hat das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln Ende 2016 mit seiner jüngsten Publikation beschritten. In „Bilder einer Stadt im Nationalsozialismus. Köln 1933-1945“ mit 1.400 Fotos aus dem eigenen Bildarchiv bewegt sich die Einrichtung in diese Richtung: „Das Buch möchte kein herkömmlicher Bildband mit bloß schönen professionellen Fotografien sein, sondern eine Dokumentation der Zeit. Zu einer solchen Dokumentation gehören gerade die vielen privaten Aufnahmen von Hobbyfotografen“, stellt der Herausgeber und Direktor des NS-Dokumentationszentrums, Werner Jung, fest.(20)

Damit verbindet er gleichzeitig eine Bitte an die Einwohner seiner Stadt: „Werfen Sie Ihre alten Fotos nicht weg!“ Stattdessen sollten sie sie doch dem NS-Dokumentationszentrum geben. Und per Ebay sollten sie sie auch nicht verkaufen, möchte man da noch hinzufügen. Die hier besprochenen Bilder des SS-Unterscharführers und des Luftwaffenpiloten stammen aus einem größeren Bestand, wie eine Recherche auf den übrigen Seiten des Anbieters ergab. Der Einzelverkauf zerstörte nicht nur ihn, sondern atomisierte auch den Rest des historischen Mikrokontextes, der sie einst umgab.

Neben diesen spezifisch fotogeschichtlichen Aspekten ergeben sich noch weitere mögliche Forschungsfelder. Einerseits drängt sich die Frage auf, inwieweit die Posen des Sturmgeschützsoldaten und des Piloten in Ästhetik und Inszenierung den staatlichen „Vorbildern“ und „Kriegshelden“ entsprechen und in der Tradition des Soldaten-Porträts stehen oder sich davon unterscheiden. Andererseits liegt es nahe, sich den Militär- und Parteiuniformen nebst den zahlreichen Orden und Auszeichnungen der NS-Zeit aus kulturethnologischer Sicht anzunehmen, um den bisherigen meist rechtslastigen Darstellungen eine wissenschaftlich fundierte Alternative entgegenzustellen.

Dass seitens der Geschichtswissenschaft auch den „Knipserfotos“ ein wenig mehr Achtung entgegengebracht werden sollte, anstatt sie wegen einer vermeintlichen Dekontextualisierung links liegen zu lassen, zeigt das Bild des turkmenischen Soldaten: Anhand von „Knipserfotos“ lässt sich die bisherige militärhistorische Forschung zu den „Ostlegionen“ überprüfen und ergänzen.

Wenn sich unbeschriftete Soldaten-Porträts verorten lassen, dann kann ihr Informationsgehalt trotz ihrer Dekontextualisierung größer und für weitere Forschungen hilfreicher sein, als sich auf den ersten Blick vermuten läßt.

Fussnoten

(1) Email HSK (Claudia Prinz) CFP: Eine Fotografie. Über die transdisziplinären Möglichkeiten der Bildforschung – Berlin 10/16, 15. Februar 2016 um 21.06 Uhr.

(2) Jens Jäger: Fotografie im Gefängnis. In: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln (Hg.): August Sanders unbeugsamer Sohn. (Metropol) Berlin 2015, S. 261-278. Benito Bermejo: El fotógrafo del horror. La historia de Francisco Boix y las fotos robadas a los SS de Mauthausen. 2. überarb. Aufl. (RBA Libros) Barcelona 2015.

(3) Vgl. Jens Jäger: Fotografie und Geschichte. (Campus) Frankfurt 2009, S. 84.

(4) http://www.ebay.de/itm/Portrait-Foto-14-Soldat-2-Weltkrieg-/311787004476?hash=item4897f4223c:g:kSwAAOSwGtRX0w49, Abruf 30. Januar 2017. Das Bild erweist sich als unverkäuflich. In der hier zitierten Fassung hat der Anbieter den Totenkopf auf Schirmmütze und Kragenspiegel geschwärzt.

(5) Bernd Wegner: Hitlers Politische Soldaten. Die Waffen-SS 1933–1945. 7. Auflage. (Schöningh) Paderborn 2006.

(6) http://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/SSTotenkopf/SSTotenkopf6-R.htm, Abruf 24. Januar 2017.

(7) http://www.ebay.de/itm/orig-STERBEBILD-DEATH-CARD-JUNGER-PANZER-KOMMANDANT-ELITE-TK-UNIFORM-/201612252663?hash=item2ef106d5f7:g:hwsAAOxyUrZSvvf5, Abruf 18.01.2017. Der Soldat trägt auf beiden Kragenspiegeln je einen Totenkopf. Das weißt ihn als Angehörigen der Panzertruppe aus. Weiter heißt es auf dem Sterbebild, dass er den Rang eines Unteroffiziers innehatte. Wäre er ein Angehöriger der SS gewesen, hätte es „SS-Unterscharführer“ geheissen.

(8) Zu §86 siehe https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__86.html; zu §86a siehe https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__86a.html; Abruf 18. Januar 2017.

(9) Bei der Helmut Weitze Militärische Antiquitäten KG heißt es hierzu unter §5 der AGB u.a.: „Wir weisen darauf hin, dass eventuell angeforderte und von uns gelieferte zeitgeschichtliche[n] und militärhistorische[n] Waren, insbesondere diejenigen aus der nationalsozialistischen Zeit, nur zu Zwecken der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger und verfassungsfeindlicher Bestrebungen, der wissenschaftlichen und kunsthistorischen Forschung, der Aufklärung und Berichterstattung über die Vorgänge des Zeitgeschehens oder der militärhistorischen und uniformkundlichen Forschung geliefert werden und damit den §§ 86, 86a StGB wie auch dem sonstigen geltenden Recht entsprochen wird“, und weiter: „Sie als Käufer verpflichten sich mit ihrer Bestellung rechtsverbindlich, diese Objekte nur für historisch-wissenschaftliche Zwecke aus in Absatz 1 genannten Gründen zu erwerben und sie in keiner Weise propagandistisch im Sinne der §§ 86, 86a StGB oder in sonst strafbarer oder verfassungsfeindlicher Weise zu nutzen. Nur unter dieser Voraussetzung werden Bestellungen akzeptiert.“ https://www.weitze.net/agb.html#endpreis, Abruf 15. Januar 2017.

(10) http://www.ebay.de/itm/Portrait-6-Soldat-2-Weltkrieg-/311787004471?hash=item4897f42237:g:zvIAAOSwYIxX3tks, Abruf 30. Januar 2017. Die Screenshots entstanden im Juli 2016. Das Bild scheint bis Ende Januar keinen Käufer gefunden zu haben.

(11) http://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Orden/mwio.html, Abruf 24. Januar 2017.

(12) Vgl. http://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Gliederungen/ArtErsAbt/StuGErsAbt400-R.htm, Abruf 24. Januar 2017.

(13) Vgl. http://www.ebay.de/sch/sis.html?_nkw=TOP+General+hoher+Offizier+Portrait+Foto&_itemId=381555973798&_trksid=p2047675.m4099, Abruf 4. März 2016.

(14) Dermot Bradley/Karl F. Hildebrand/Markus Rövekamp: Die Generale des Heeres 1921-1945, 7 Bde. (Biblio) Osnabrück 1993-2004.

(15) Vgl. http://images.google.de/imgres?imgurl=https%3A%2F%2Fforum-antikvariat.ru%2Fuploads%2Fpost-71-1221766046.jpg&imgrefurl=https%3A%2F%2Fforum-antikvariat.ru%2Findex.php%2Ftopic%2F73233-general-der-inf-alexander-von-hartmann%2F&h=871&w=581&tbnid=JZxO3fYCY6f_5M%3A&vet=1&docid=GPw3Pq4J7CFs6M&ei=gd-QWI7FCKya6ATT1KbwCg&tbm=isch&client=firefox-b-ab&iact=rc&uact=3&dur=875&page=0&start=0&ndsp=62&ved=0ahUKEwjOiaGzie3RAhUsDZoKHVOqCa4QMwgiKAgwCA&bih=951&biw=1920, Abruf 3. Okotber 2016. Es war im Übrigen das einzige Mal, dass mir die Bildersuche bei Google derart geholfen hat.

(16) Ralf Schumann: Die Ritterkreuzträger 1939-1945 des Kampfgeschwader 1 „Hindenburg“. (VDM) Zweibrücken 2000, S. 123, letztes Bild rechte Spalten unten; Gerhard Baeker: Kampfgeschwader 1 „Hindenburg“. (o.V.) Meinerzhagen 2006.

(17) Oberkommando des Heeres: Verfügung über landeseigene Hilfskräfte im Osten. August 1942. German Docs in Russia, Bestand 500, Findbuch 12451, Akte 124, http://www.germandocsinrussia.org, Abruf 6. Mai 2016.

(18) Vgl. https://www.dd-wast.de, Abruf 24. Januar 2017

(19) Vgl. Miriam Y. Arani: Die fotohistorische Forschung zur NS-Diktatur als interdisziplinäre Bildwissenschaft.In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, Jg. 5, 2008, Heft 3, http://www.zeithistorische-forschungen.de/3-2008/id=4393, Abruf 24. Januar 2017.

(20) Werner Jung (Hg.): Bilder einer Stadt im Nationalsozialismus. Köln 1933-1945. (Emons) Köln 2016, S. 7.

[Die gedruckte Version erschien hier:

Ingo Niebel (2017): Semiotik der Soldatenuniform. Zum Informationsgehalt unbeschrifteter deutscher Soldaten-Porträts (1933/35-1945). In: Irene Ziehe, Ulrich Hägele (Hrsg.) Eine Fotografie. Über die transdisziplinären Möglichkeiten der Bildforschung. (Visuelle Kultur. Studien und Materialien, Band 12). Münster: Waxmann, 2017: 123-140.]

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