(berriak-news/Ingo Niebel) Der heutige Nationalfeiertag des Königreichs von Spanien steht unter dem offiziellen Motto “Stolz, Spanier zu sein”. Vor seiner Majestät König Felipe VI. werden neben den Streitkräften, der Fremdenlegion und der militärisch organisierten Guardia Civil auch erstmalig Beamte der Nationalpolizei vorbei marschieren. Die regierende postfranquistische Volkspartei (PP) hat die Bürger aufgerufen, sie mögen die Einheit Spaniens unterstützen, indem sie die Nationalflagge hissen.
In Madrid geht die PP mit gutem Beispiel voran. Vom Dach ihrer siebenstöckigen Parteizentrale bis hinunter an den Haupteingang an der Génova-Strasse hängt eine rotgoldrote Fahne. Da ihr die königliche Krone fehlt, erinnert sie an die Art Flagge, wie sie in der Franco-Diktatur üblich war. Ein Schelm, wer jetzt an die franquistischen Wurzeln der Volkspartei denkt. Ein Immobiliengeschäftsmann hat sogar ein über 700 Quadratmeter grosses Banner des Königreichs an einem seiner Gebäude spannen lassen. Auf Madrids Plaza de Colón (Kolumbus-Platz) weht sowieso immer die größte Nationalfahne des Landes, wenn nicht gar ganz Europas: Sie misst 300 Quadratmeter. Erwartungsgemäß werden auch die Anhänger der Franco-Diktatur zur Parade kommen. Dort werden sie die rotgoldene Franco-Fahne mit dem franquistischen Adler sowie weitere faschistische und nazistische Symbolik zeigen können, ohne befürchten zu müssen, dass jemand sie dafür belangen wird. Es ist also unübersehbar, dass es neben den vielgescholtenen Nationalismen im Baskenland und Katalonien auch einen spanischen gibt, der allzu gerne übersehen wird, obwohl er Teil, wenn nicht gar Ursprung der politischen Krise ist.
Mit dem 12. Oktober erinnert das offizielle Spanien an die “Entdeckung” (1492) des Kontinents, den die europäischen Eroberer später “Amerika” nannten. In der Franco-Diktatur hieß er “Tag der Rasse”, heute “Tag der Hispanität”. Was letztere ausmacht, bestimmt Madrid – auch mit seinen Streitkräften und Polizeikorps.
Das Vorspiel zu dieser Show politisch-militärischer Macht fand gestern im spanischen Parlament statt. Dort hielten PP, Spaniens Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) und die neurechten, sich liberal nennenden Ciudadanos die Phalanx des nationalspanischen Unionismus gegen Katalonien und das Baskenland festgeschlossen und drohten neue Massnahmen gegen die Selbstregierung an.
Regierungschef Mariano Rajoy bezog erwartungsgemäß gegen den katalanischen Präsidenten Carles Puigdemont und die Unabhängigkeitsbewegung Stellung. Der Ton war derselbe, den bereits der Monarch als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkräfte angeschlagen hatte, autoritär und diktierend. Vom Inhalt her glich Rajoys Rede einer Anklageschrift, die sich nicht nur gegen den katalanischen Präsidenten wandte, sondern gegen alle Katalanen, die keine Spanier sein wollen. Ihm geht es nicht mehr nur darum, Kataloniens Regierung per Artikel 155 abzusetzen, sondern er will den Teil der Gesellschaft umerziehen, den die Madrider Katalonien-Politik zu Befürwortern der Unabhängigkeit gemacht hat. Ins Fadenkreuz nahm er das katalanische Bildungswesen. Mediation und Dialog schloss er, wie auch die Redner von PSOE und Ciudadanos, aus.
Insofern erinnerte Rajoys Parlamentsrede an die Schlussszene des Kinoepos “Braveheart”: Der schottische Freiheitskämpfer William Wallace blickt seiner Hinrichtung entgegen. Der Henker ihm zeigt sein Instrumentarium an Folterwerkzeugen – von ganz klein bis zur großen Axt. Den Todgeweihten stellt er vor die Wahl: Wallace könne entscheiden, ob die Marter lange dauern soll oder ob er einen schnellen Tod wünscht. Für letzteres müsse er nur seine Reue bekunden.
In einer vergleichbaren Situation befinden sich auch Puigdemont und seine Mitstreiter: Selbst wenn sie gewillt wären, einen Rückzieher zu machen, so hat ihnen Rajoy nichts angeboten, damit sie diesen Schritt zumindest erwägen könnten.
Damit der PP-Chef trotz allem, was da noch kommen mag, weiter als “lupenreiner Demokrat” wird durchgehen können, sorgte Spaniens Sozialdemokratie. Das Zückerchen, das die PSOE zu Rajoys bitterer Medizin beisteuert, kommt als “Verfassungsreform” daher, die in sechs Monaten über die Bühne gehen soll. Dabei handelt es sich bestenfalls um ein Placebo, da das Selbstbestimmungsrecht nicht zur Debatte steht. Hätte die Verfassung von 1978 es berücksichtigt, wäre der baskische Konflikt anders verlaufen und die Katalanen wüssten, wie sie verfassungskonform das spanische Königreich verlassen können.
Schlimmstenfalls ist diese Verfassungsreform ein vergifteter Apfel, der bei Kontakt zum Tod führt. Das hat Ciudadanos-Führer Albert Rivera deutlich gemacht, als er unterstrich, dass die Reform nicht die Independentistas belohnen dürfe. Damit dürfen sich auch die Vertreter der Baskischen Nationalpartei (PNV) angesprochen fühlen, obwohl diese nur die – im Rahmen der aktuellen Verfassung – ihr Autonomiestatut erweitern wollen. Auch die zukünftige Verfassung wird in Madrid gemacht werden, die Regionen dürfen sie bestenfalls abnicken.
Die Zentrifugalkräfte an den baskisch-katalanischen Peripherien liessen sich nur dann bremsen, wenn der spanische Staat, wie vom Linksbündnis Unidos Podemos gestern angemahnt, seinen plurinationalen Charakter anerkennen würde. Aber nach der Dosis Chauvinismus, den sich die staatstragenden Kräfte heute mit ihrer Parade verpassen werden, dürfte der nationalistische Trip länger dauern und die Vernunft als Mittel der Politik links liegen lassen.
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