Spaniens Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) befindet sich in ihrer schwersten Krise, seitdem das Land 1978 von der Franco-Diktatur zur parlamentarischen Monarchie überging: Ein gescheiterter innerparteilicher Putschversuch gegen den PSOE-Generalsekretär Pedro Sánchez hat die Parteigremien gelähmt und die Basis tief gespalten.
Aus Furcht, die verfeindeten Flügel könnten handgreiflich werden, hat die Restführung um Sánchez die Regionalregierung der postfranquistischen Ministerpräsidentin Cristian Cifuentes (PP) um verstärkten Polizeischutz gebeten. Die Ordnungshüter haben die Parteizentrale in der Straße Ferraz weitgehend abgeriegelt. Dort sind die 290 Mitglieder des Comités Federal zusammengekommen, das zwischen den Parteitagen die Politik der PSOE bestimmt. Obwohl Spaniens führende Medien für heute einen Shootout mit Sánchez als Verlierer angekündigt hatten, musste dieser fürs Erste vertagt werden. Die Ladehemmung ist weniger moralischen Bedenken oder gar der späten Versöhnung geschuldet, sondern dem Umstand, dass zwischen den Konfliktparteien keine Einigkeit darüber herrscht, wie juristisch korrekt zu verfahren ist, um eine Entscheidung herbeizuführen. Das Comité Federal musste den Beginn seiner Sitzung um vier Stunden nach hinten verschieben. Aus dem Shootout mit Ladehemmung ist ein Harakiri mit Eierlöffel geworden – Ende offen (Stand 1.10.2016, 14:00 h).
Im „Ferraz-Corral“ steht der faktische (Noch-)Generalsekretär Pedro Sánchez seiner ärgsten innerparteilichen Kritikerin, der andalusischen Ministerpräsidentin Susana Díaz, gegenüber. Beide vertreten diametral entgegengesetzte Positionen. Sánchez verharrt bei seinem „Nein ist nein“. Das bedeutet, er widersetzt sich weiterhin einer Minderheitsregierung der postfranquistischen Volkspartei (PP) von Mariano Rajoy, der seit Ende 2015 Spanien nur noch kommissarisch regieren kann. Da der Premier keine Regierung bilden konnte, kam es im Juni zu vorgezogenen Neuwahlen, die die Pattsituation im Parlament aber nicht auflösten. Um eine weitere Neuwahl zu verhindern, müsste die PSOE sich im noch ausstehenden dritten Wahlgang zumindest enthalten. Eine Große Koalition von PP und PSOE steht nicht zur Debatte. Die Alternative laut Sánchez wäre eine Minderheitsregierung von PSOE und der linken PODEMOS, die aber von der Tolerierung durch baskische und katalanische Unabhängigkeitsbefürworter abhinge.
Dieser Option widerspricht der Flügel um Díaz vehement. Er will den Status Quo beibehalten, das heißt, die PP mittels Enthaltung an der Regierung halten. So müsste die PSOE weder die kommende Sparpolitik mittragen noch an einer Lösung der katalanischen Frage mitarbeiten. Letztere hat eine neue Phase erreicht, da der katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont am Donnerstag für den September 2017 ein Unabhängigkeitsreferendum angekündigt hat.
Hinter Díaz steht auch Ex-Premier Felipe González, der Sánchez für die verheerenden Wahlniederlagen seiner Partei in der galicisichen und baskischen Autonomen Gemeinschaft am vergangenen Sonntag verantwortlich macht. „Solche schlechte Wahlresultate haben wir im Baskenland noch nicht einmal eingefahren, nach all den Dingen, die wir dort gemacht haben – pá, pá, pá“, sagte González im Interview mit dem spanischen Radiosender SER. Seitdem rätselt die spanische Internetgemeinde, was der Politiker denn mit „pá, pá, pá“ gemeint haben könnte. Hat er lautmalerisch Auslassungspunkte wiedergegeben oder bezieht er sich auf die Morde der staatlichen Todesschwadronen GAL, die unter seiner Regierung entstanden? Für deren Verbrechen kamen neben weiteren Parteifreunden und mehreren Polizisten sein Innenminister José Barrionuevo und dessen Staatssekretär Rafael Vera ins Gefängnis. Der damalige Untersuchungsrichter Baltasar Garzón ging davon aus, dass die beiden auf höheren Befehl handelten. Ihren mutmasslichen Vorgesetzten markierte er mit einem X. González musste sich für das Mordtreiben der GAL nicht verantworten.
Stattdessen bereitete der mittlerweile wohlhabende Ex-Premier mit Hilfe der ihm gewogenen Tageszeitung El País auch das Klima für den Putsch gegen Sánchez vor. Als vor ein paar Tagen 17 Mitglieder des Parteivorstandes zurücktraten, ging der Díaz-Flügel davon aus, das der Generalsekretär von seinem Amt zurückträte. Das Ethik- und Grundsatzkommitee der PSOE hätte die Partei dann bis zum außerordentlichen Parteitag geführt. Die „Sanchistas“ legen die Parteistatuten aber dahingehend aus, dass Sánchez und der Restvorstand die PSOE bis dato weiterführen. Der secretario general will, dass die Parteimitglieder am 23. Oktober über den zukünftigen Generalsekretär abstimmen. Im November soll ein Parteikongress die politische Linie festlegen. Angesichts der aktuellen Paralyse der Parteigremien ist beides mehr als illusorisch. Ein Harakiri mit Eierlöffel dauert eben länger, auch wenn er gemeinschaftlich ausgeführt wird … wie lange das sein kann, probiert die PSOE gerade aus.