(berriak-news/Ingo Niebel) Quer durch Europa scheint die Jagdsaison, auf den politischen Gegner eröffnet zu sein. In Deutschland tat es AfD-Kandidat Alexander Gauland am Wahlabend nach dem Einzug seiner Partei in den Bundestag; im Königreich von Spanien verabschieden Bürger in mehreren spanischen Städten die Zivilgardisten, die nach Katalonien abrücken, mit dem Ruf: “Macht Jagd auf sie!” Das berichten die staatstragenden Tageszeitungen El País und La Razón, die über jeglichen Verdacht erhaben sind, mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung zu sympathisieren.
Die Guardia Civil begleitet die Verlegung mit einem bellizistischen Tweet, der einen martial daherkommenden Zivilgardisten zeigt und sich wie folgt liest:
“Das Schicksal flüstert dem Krieger zu:
– Du kannst dem Sturm nicht widerstehen.
Und der Krieger flüstert zurück:
– Ich bin der Sturm.”
Die militärisch organisierte und ausgestattete Polizeitruppe, die auch für ihre Folterungen gerichtsbekannt ist, reagiert damit auf den Umstand, dass sie am 20. September 2017 nicht fähig war, angesichts mehrerer Tausend Demonstranten ihre Beamten aus dem katalanischen Wirtschaftsministerium zu holen. Gut ein halber Tag verging, bis es Vertretern der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und der Regionalpolizei gelang, den eingeschlossenen Polizisten einen geordneten Rückzug zu organisieren. Diese Schmach hat die sich als Elite verstehende Polizeibehörde nicht vergessen. Ähnliches erlebte die spanische Nationalpolizei, als ebenfalls mehrere Tausend Bürger verhinderten, dass die Beamten – ohne Durchsuchungsbefehl – die Parteizentrale der linksradikalen und antikapitalistischen CUP stürmten.
Seitdem beeilen sich Politik und gesamtspanische Medien, den angekratzten Stolz ihrer Polizisten wieder aufzupolieren.
Das ist umso problematischer, da gerade die Menschenrechtsverletzungen, sprich Folter und Misshandlungen im Polizeigewahrsam, durch die Polizei auch international bekannt sind. Dass ein Folterprozess oder ein derartiges Ermittlungsverfahren eher karrierefördernd wirken, zeigt der Fall von Oberst Diego Pérez de los Cobos. Seit gestern befehligt der Zivilgardist im Madrider Auftrag die katalanische Polizei, die Mossos d’Esquadra. Dabei verkörpert er alle Gründe, weshalb Katalanen raus aus Spanien wollen:
Er ist ein “Experte” in der “Aufstandsbekämpfung”. 1992 war er beteiligt an der Folterung des Basken Kepa Urria; drei Zivilgardisten wurden deshalb 1997 verurteilt (er nicht) und 1999 von Rajoys Parteifreund Aznar begnadigt; sein Vater gehörte der ultrarechten Fuerza Nueva an; sein Bruder ist spanischer Verfassungsrichter, unter dessen Leitung das höchste Gericht die Souveränitäts-Erklärung des katalanischen Parlaments 2013 annullierte.
Dass es bei der Verteidigung der Ordnungskräfte keine Tabus gibt, zeigt auch die rechtskonservative ABC. Sie bietet sogar diktatorischen Allüren einen publizistischen Raum, wenn sie ihre Kolumnistin Isabel San Sebastián in dem Kommentar “¡Viva la Guardia Civil! ¡Viva la Policía Nacional!” schreiben lässt:
“Man muss das Modell der Landesordnung überdenken, und wir müssen ernsthaft darüber nachdenken, ob die Erziehung, die Sicherheit oder die autonomen Kommunikationsmedien weiterhin in den Händen deren verbleiben können, die sie schamlos gegen den demokratischen Staat einsetzen, ein Umstand, wie er in keinem anderen Land in Europa geschieht.”
Ergo, Demokratie ist das, was Madrid gerade dafür hält; für die Meinungsfreiheit gilt dasselbe. Alles andere, was nicht passt, wird entweder passend gemacht oder verboten – oder zur Jagd freigegeben. Der ABC-Kommentar ist einer der medialen Jagdscheine, mit denen Spaniens Politik die Hüter seiner Gesetze ausgestattet hat.
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