(berriak-news/Ingo Niebel) Mit seinen exekutiven und juristischen Massnahmen gegen die katalanische Regierung und die Unabhängigkeitsbefürworter begibt sich Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy gerade mit Vollgas auf eine Horrorfahrt hinein in die politische Sackgasse. Da er weiterhin auf dem Gaspedal steht, kann man nicht davon ausgehen, dass er sich bewusst ist, wo seine Raserei enden wird. Ob er die Staatskarosse noch mit einer Vollbremsung wird stoppen können oder sie an der Mauer der politischen Realität schrottet, werden die kommenden Tage zeigen.
Fakt ist, dass er und seine postfranquistische Volkspartei (PP) sich mit der ihnen eigenen Ignoranz und Arroganz gegenüber Katalonien und seinen Befindlichkeiten den politischen Spielraum genommen haben. Im Moment bleiben der Regierung Rajoy nur noch zwei Optionen. Keine wird die aktuelle Lage im Sinne des spanischen Zentralstaates lösen, sondern ihn in eine Existenzkrise führen.
Option eins sieht vor, das für den 1. Oktober angesetzte Referendum über den möglichen Austritt Kataloniens aus dem spanischen Staatsverband zu verhindern.
Am 20. September hat die Zentralregierung begonnen, die Logistik des Referendums zu zerschlagen und die katalanische Regierung schrittweise ihrer exekutiven Befugnisse zu berauben. Vom heutigen Montag an will sie die katalanische Polizei von einem Offizier der spanischen Zivilgarde befehligen lassen. Das lehnt die Führung der Mossos d’Esquadra ab wie auch der katalanische Innenminister.
Um seiner Politik Nachdruck zu verleihen, hat Madrid mehrere Tausend Mann der Anti-Demonstrations-Einheiten nach Katalonien verlegt. Im Rahmen des Möglichen liegt, dass die PP-Regierung im Laufe der Woche den Aktionsrahmen der katalanischen Exekutive weiter einschränken könnte, indem sie erneut Regierungsmitglieder bis hin zum Ministerpräsidenten Carles Puigdemont festnehmen liesse. Spaniens staatstragende Presse bereitet gerade das Klima für eine solche Massnahme vor.
Die Logik dieser repressiven Politik bedingt zwangsläufig, dass alle demokratischen Parteien, die sich für das Referendum einsetzen, verboten werden. Wie das praktisch gehen kann, hat Madrid in den letzten zwei Jahrzehnten mehrfach im Baskenland vorgeführt. Dass sich die spanische Justiz dem widersetzen würde, kann man nicht erwarten, da sie hochgradig politisiert und mit der Politik verbandelt ist. Den Betroffenen bliebe nur der langwierige Gang durch die Instanzen bis hin zum Europäischen Gerichtshof.
Schliesslich müsste Rajoy noch erreichen, dass am 1. Oktober nicht gewählt wird. Selbst mit dem massiven Polizeieinsatz wird sich das nicht verhindern lassen: Über 700 Bürgermeister unterstützen das Anliegen; die seit Donnerstag laufende Repression hat die Erinnerung an die franquistische Unterdrückung heraufbeschwören, so dass weite Teile der Bevölkerung sich derart politisiert haben, dass die Abstimmung wie auch immer stattfinden wird. Dass die Garantien für einen ordnungsgemäßen Ablauf fehlen, dafür hat Madrid gesorgt. In der Vergangenheit gelang es den Verfechter des Referendums unter weniger kritischen Umständen, zwischen ein und zwei Millionen Menschen zu mobilisieren. Warum sollten es am 1. Oktober weniger sein, zumal die Referendumsbefürworter auf die Repression mit friedlichem Protest geantwortet haben? Diese ganz spezielle katalanische Polit-Kultur hat aus dem Widerstand ein Fest der Demokratie gemacht. So berichtet es auch die internationale Presse. Was will Rajoy dagegen unternehmen? Am 1. Oktober die Panzer rollen lassen? Den Schießbefehl geben?
Und wie geht es dann weiter? Rajoy müsste wie einst Diktator Franco (1939-1975) Katalonien weiter zentral regieren, Parteienverbote durchsetzen, bevor es zu Neuwahlen kommt, sowie die Unabhängigkeitsbefürworter verfolgen und umerziehen. Alles andere würde dem spanischen Machtanspruch über Katalonien zuwiderlaufen und die aktuelle politische Lage wiederholen.
Option zwei sähe vor, dass das Referendum stattfindet. Nach einer jüngsten Umfrage sehen 82% der Katalanen aller Parteien das Referendum als Ausweg aus der aktuellen Lage. Aus Madrider Sicht am besten später, und unter internationaler Kontrolle. Das wäre ein kleiner Schritt, um den Zusammenstoss am 1. Oktober zu verhindern. So liesse sich auch ein Mindestmass an Politikfähigkeit zurückgewinnen, obwohl hier eher der Wunsch Vater des Gedankens ist. Denn es ist unerheblich, unter welchen Vorzeichen Katalanen zur Urne schreiten dürfen: Nach Rajoys politischer Horrorfahrt durch die katalanische Sackgasse kann momentan keine gesamtspanische Partei mehr darauf hoffen, in demokratischen Wahlen eine Mehrheit zu bekommen. So oder so wird es zum Crash kommen. Offen ist die Zahl der Opfer, die Rajoy im Verlauf seiner Horrorfahrt noch verursachen wird. Vorhersehbar ist, dass es keinen Airbag gibt, der den Premier schützen kann, und dass am Ende der spanischen Staat, so wie er 1978 entstanden ist, nur noch Schrottwert haben wird. Die Unfallstelle werden andere aufräumen müssen.
Leave a Reply