(berriak-news/Ingo Niebel) Die geplanten Zwangsmaßnahmen der spanischen Zentralregierung gegen Katalonien führen zu Drohungen gegen andere Autonome Gemeinschaften und fördern Allmachtsfantasien bei den dortigen Minderheitsparteien. Dazu gehört auch, Parteien des Unabhängigkeitslagers zu verbieten.
Zu den Zwangsmassnahmen, die die spanische Zentralregierung von Mariano Rajoy (PP), in Katalonien anwenden möchte, gehören Neuwahlen. Ginge es nach der Oppositionsführerin im katalanischen Parlament, Inés Arrimadas, würde sie gerne eine “Querfront”-Regierung (gobierno “transversal”) anführen wollen. Diesen Wunsch äußerte sie in einer Fernsehsendung. Die von ihr geführte Exekutive bestünde dann aus ihrer neurechten Partei Ciutadans (C’s, Bürger), Rajoys postfranquistischer Volkspartei (PP) und der Sozialistischen Partei Kataloniens (PSC), die spanienweit mit der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) zusammenarbeitet. Alle drei Parteien befürworten den Massnahmenkatalog, mit dem der Premier unter Rückgriff auf den Artikel 155 der spanischen Verfassung die katalanische Regierung von Präsident Carles Puigdemont absetzen, die Arbeit des Regionalparlaments drastisch einschränken sowie die Kontrolle über die katalanische Polizei und die Medien übernehmen will. Bevor das geschehen kann, muss am Freitag der Senat dem zustimmen und seine Entscheidung im Gesetzblatt veröffentlichen. Falls es soweit kommen sollte, würde die Zentralregierung die katalanische Exekutive von Madrid aus übernehmen.
Vor diesem Hintergrund hat sich Arrimadas den Spott in den Sozialen Netzwerken zugezogen, wo man sie ob ihrer Machtgelüste mit der Khalessi aus der Fernseh- und Romanserie Games of Throne vergleicht. Das ist insofern pikant, da die Fantasiefigur ihre Macht auf Drachen stützt und Kataloniens Schutzpatron niemand geringeres als der drachentötende Heilige Georg ist.
Mehr noch als für ihre Karrierepläne steht Arrimadas Wunsch eher für die Allmachtsfantasien, die einige rechtsnationale spanische Politiker offen äußern. Dass die Megakoalition von PP, PSOE und C’s die Regierungsmacht in Barcelona nur mittels verfassungsrechtlich zweifelhafter Methoden ergreifen kann, zeigen Umfragen ihr nahestehender Medien: Selbst Neuwahlen würden dem Unionistenblock keine Mehrheit bescheren, da das Unabhängigkeitslager weiterhin die meisten Stimmen, wenn auch nicht mehr die absolute Mehrheit, erhielte.
Für den Fall, dass Premier Rajoys die Exekutivgewalt in Katalonien übernähme, hiesse das, eine 8%-Partei würde die Regionalregierung stellen. Über mehr Prozente verfügt seine PP nämlich nicht im katalanischen Parlament. Zwar hat die Regierung Rajoy angekündigt, in Katalonien sollen innerhalb von sechs Monaten Neuwahlen stattfinden, aber einen Wahltermin gibt ebenso wenig wie Garantien für einen korrekten Ablauf: Die letzten zwei Wochen ging PP-Hardliner Pablo Casado mit seinem Vorschlag hausieren, die Parteien der Unabhängigkeitsbewegung müssten verboten werden. Damit solle vermieden werden, dass sich Situationen wie in Katalonien wiederholen könnten, begründete er sein Vorgehen. Mittlerweile hat er erklärt, das Parteiverbot stünde momentan nicht auf der Tagesordnung. Dass er mit seinen Ideen nicht alleine steht, zeigen mehrere seiner Parteifreunde.
Der PP-Landeschef Alfonso Alonso warnt, der Autonomen Baskischen Gemeinschaft könnte eine ähnliche Situation wie in Katalonien drohen, da die dortige christdemokratische Baskische Nationalpartei (EAJ/PNV) mit dem Linksbündnis EH Bildu ebenfalls eine breite Unabhängigkeitsbewegung nach katalanischem Vorbild auf die Beine stellen könnte. In der benachbarten Foralen Gemeinschaft Navarra, die historisch, sprachlich und kulturell zum Baskenland gehört, stiess seine Parteifreundin Ana Beltrán ins selbe Horn. In Iruñea (Pamplona) regiert seit zwei Jahren ein Linksbündnis aus vier Parteien, dass die nationalspanische Regionalpartei Unión del Pueblo Navarro (UPN) nach Jahrzehnten der Misswirtschaft und Korruption abgelöst hat.
Dem nicht genug: Auch die Regionalregierung von Kastilien-La Mancha musste gleichlautende Drohungen über sich ergehen lassen, obwohl es dort keine Unabhängigkeitsbewegung gibt. Dort behauptete der Vertreter der Madrider Zentralregierung, José Julián Gregorio, dass Regionalpräsident Emiliano García-Page “schreiend um Artikel 155 bittet”, damit der Zentralstaat die Probleme der Autonomen Gemeinschaft korrigiere. Der Regierungschef gehört der PSOE an und regiert seit 2015 dank des Linksbündnisses Unidos Podemos. So er löste seine PP-Vorgängerin María de Cospedal ab, die jetzt das Verteidigungsministerium leitet.
Offensichtlich sehen die PP, PSOE, C’s und die Regierung Rajoy in der aktuellen politischen Krise die Chance, den Autonomiestaat zu rezentralisieren und sich mittels des Ausnahmeartikels 155 die verlorene politische Macht notfalls durch Parteienverbote zurückzuholen. Dieser neuerliche Ausdruck an Politikunfähigkeit des Madrider Establishments dürfte die Zentrifugalkräfte an der baskischen wie katalanischen Peripherie weiter beschleunigen.
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