Spaniens Staatssender RTVE schickt mit Chanel Terrero und ihrem Song „SloMo“ eine ganz spezielle Botschaft an die Zuschauerinnen des European Song Contest (ESC): Weib sei des Mannes williges Sexobjekt. Ein musikalisches Adiós an Respekt und Gleichstellung, Selbstbestimmung und #MeToo.
Vom spanischen Beitrag zum ESC geht heute eine Message aus, die der sozialen Wirklichkeit im Land diametral entgegensteht. Nicht selten finden sich an Ortseingängen Hinweisschilder, dass man dort keine sexuellen Übergriffe duldet. In Spanien thematisieren Öffentlichkeit und Medien die Gewalt von Männern gegen Frauen. Während Deutschland den Feminizid – den Mord an der Frau, weil sie eine Frau ist – noch als “Ehedrama”, “Familientragödie” oder “Ehrenmord” kaschiert -, ist man im Königreich weiter. Über die Fälle berichten die Nachrichtensendungen, vor den Rathäusern gedenken gewählte Vertreter:innen und Bürger:innen des jeweiligen Opfers. Ähnlich verhält es sich, wenn Vergewaltigungs- oder sexuelle Missbrauchsfälle bekannt werden. Im vergangenen Jahr starben mindestens 43 Frauen durch die Hand ihrer männlichen Partner.
Die Bemühungen richten sich gegen ein Verhalten, das klischeehaft und unzureichend mit dem eines „Machos“ umschrieben wird: Er, der Mann, der sich die Frau Untertan macht; sie, die Frau, die sich ihm willig hingibt und sich dafür von ihm entlohnen läßt. Diese Vorstellung mag einer anderen Zeit und Gesellschaft entspringen; heute Abend jedoch erlebt sie durch den spanischen ESC-Beitrag ein Revival. Der Staatssender RTVE verbreitet sie muskalisch verpackt von Turin aus nach ganz Europa.
Als Überbringerin der Ode an die Frau als Sexobjekt wählte im April die Jury des Benidorm Fest die kubanisch stämmige Sängerin Chanel Terrero aus. Das Votum des Expert:innengremiums wog mehr als das der Zuschauer:innen. Wäre es nach letzteren gegangen, dann hätte die galicische Gruppe Tanxugeiras mit 70% der Telefonstimmen gewonnen, musste RTVE zugeben. Ihnen folgte die aus Katalonien stammende Sängerin Rigoberta Bandini, die 18% der Zuschauerstimmen erhielt. Chanel bekam demnach nur knapp vier Punkte.
“Anatomie eines nationalen Skandals”
Die drei Tanxugeiras singen in ihrer Heimatsprache und verwenden Volksweisen, die sie mit traditionellen und modernen Instrumenten wiedergeben. Bandini zieht das Kastilische vor. Sie ehrte mit ihrer feministischen Hymne “Ay mamá” die Mütter dieser Welt.
Aber weder sie noch ihre galicische Mitbewerberinnen besassen eine faire Chance: Chanel konnte vorab auf die Unterstützung der Entscheider zählen. Das Online-Portal El Confidencial sezierte sogar die “Anatomie eines nationalen Skandals”.
Aber Protest und Unmut über die willkürliche Entscheidung änderten nichts am Ergebnis, das dem nationalspanischen Mainstream in Madrid entspricht. Der Sieg der Galicierinnen hätte die plurinationale und somit plurikulturelle Realität Spaniens widergespiegelt, aber diese Botschaft war nicht gewünscht. Stattdessen setzte sich der nationalspanische Kulturimperialismus nach alter Manier durch – unfair, rückwärtsgewandt und plump.
Ode an die Frau als Sexobjekt
Anstatt zumindest ein Original in den Musikwettbewerb zu schicken, schuf man(n) für den ESC ein Kunstprodukt im Musiklabor, bei dem nicht nur der Name eine Kopie ist. „Hier hat man darauf gesetzt zu untersuchen, was Europa von uns erwartet“, erklärt einer der Schöpfer, José García Hernández, Künstlername Luka, das Resultat im Interview mit der Tageszeitung El Mundo. Das Ergebnis, der wie auch immer gearteten Untersuchung fasst der Mitdirektor von Eurovision-Spain.com so zusammen: „mediterrane Latino-Rhythmen mit einer explosiven Diva, die tanzt und singt“.
Dass die Choreografie sehr stark an JLo (Jennifer López) erinnert, wundert wenig, da der Choreograf Kyle Hanagami mit der Puertoricanerin zusammengearbeitet hat. Das Kostüm stammt von Carmen Farala. Hinter dem Künstlernamen versteckt sich der Drag-Darsteller Daniel Mora Rojas.
Auch bei der Auswahl der Sängerin überließen diese Herren der Musikschöpfung nichts dem Zufall: Chanels Aussehen entspricht dem bei Latino-Machos vorherrschenden Schönheitsideal. Der Liedtext folgt ebenfalls dieser Vorgabe. Der Song degradiert die tanzende Sängerin zu einer geldfixierten, luxusgetriebenen, immer bereiten, geistig unterbelichteten Latino-Bitch. Der Sprachmix aus Englisch und Spanisch sowie die Performance richten sich eher an ein Publikum in den USA und Lateinamerika, weniger an Europäer:innen. Der Songtext läßt wenig Raum zur Interpretation.
Schon der Titel „SloMo“ stellt die Analogie zum Sexgeschäft her. Er gibt verkürzt das englische „Slow Motion“ (Zeitlupe) wieder. Bei Pornoproduktionen meint SloMo die besonders langsame bildliche Darstellung einer sexuellen Handlung.
“Bin immer bereit …”
Ähnlich schlecht und niveaulos wie die meisten männlich gesteuerten X-Filme gestaltet sich der Liedtext. “Let’s go! Mami ist da, die Königin, die Harte, die Bugatti”, heißt es direkt zu Beginn. “Wenn ich ein Problem habe, dann ist es nicht das Geld”, stellt Chanel klar und weiter: “Ich mache alle Daddies verrückt.” Die wenigstens finanziell potenten älteren Herren dürften sich ihrem wie auch immer gearteten Ziel nahe wähnen, wenn aus Chanels Mund ertönt: “Bin immer bereit, um Hüften und Herzen zu brechen.” “Und wenn du es mir noch nicht glaubst, dann muss ich’s dir beweisen. Mach ein Video und schau es dir in SloMo an”, lautet eine weitere Passage aus dieser sexistischen Ode.
Wenige Tage vor dem ESC macht sich die rechtskonservative Tageszeitung ABC noch Hoffnung, der Song könnte die meisten Punkte einfahren. “Eurovision, eine Chance um mit dem ‘Chanelazo’ die ‘Marca España’ zu boostern”, lässt sich der Titel des Artikels frei übersetzen. Valencia und Torremolinos (Málaga) würden gerne den ESC 2023 ausrichten. Nicht der Musik, sondern des Mammons wegen. 2018 bescherte der Event Lissabon über hundert Millionen Euro. “Marca España” heißt übrigens die PR-Kampagne, mit der der spanische Staat sein Image international aufpolieren möchte. Ihr Erfolg dürfte eng mit der Punktzahl verbunden sein, mit der Chanel heute Abend den ESC beenden wird. Dann zeigt sich, wie man(n) kommt, wenn das Sexismusregister rauf und runter gespielt wird.
SloMo (Liedtext)
Let’s go! Llegó la mamiLa reina, la dura, una bugatti
El mundo está loco con este party
Si tengo un problema, no es monetary
Yo vuelvo loquito a todos los daddies
Yo siempre primera, nunca secondary
Apenas hago doom, doom
Con mi boom, boom
Y le tengo dando zoom, zoom
Por Miami
Y no se confundan
Señora y señore
Yo siempre toy ready
Pa romper cadera, romper corazones
Solo existe una
No hay imitaciones
Y si aún no me crees, pues me toca mostrárselo
Take a video
Watch it SloMo, mo, mo, mo, mo
Booty hypnotic
Make you want more, more, more, more, more
Voy a bajarlo hasta el suelo, lo, lo, lo, lo
If you wish, you could do this dembow
Drives you loco
Take a video, watch it SloMo
Te gusta todo lo que tengo
Te endulzo la cara en jugo de mango
Se te dispara cuando la prendo
Hasta el final, yo no me detengo
Take a sip of my cola-la
Un poco salvaje na-na-na
Make it go like pa-pa-pa
Like pa-pa-pa-pa
Y no se confundan
Señora y señore
Yo siempre toy ready
Pa romper cadera, romper corazone
Solo existe una
No hay imitaciones
Y si aún no me crees, pues me toca mostrárselo
Take a video
Watch it SloMo, mo, mo, mo, mo
Booty hypnotic
Make you want more, more, more, more, more
Voy a bajarlo hasta el suelo, lo, lo, lo, lo
If you wish, you could do this dembow
Drives you loco
Take a video
Watch it SloMo, mo, mo, mo, mo
Booty hypnotic
Make you want more, more, more, more, more
Voy a bajarlo hasta el suelo, lo, lo, lo, lo
If you wish, you could do this dembow
Drives you loco
Y no se confundan
Señor y señore
Yo siempre toy ready
Pa romper cadera, romper corazones
Solo existe una
No hay imitaciones
Y si aún no me crees, pues me toca mostrárselo
Take a video
Watch it SloMo, mo, mo, mo, mo
Booty hypnotic
Make you want more, more, more, more, more
Voy a bajarlo hasta el suelo, lo, lo, lo, lo
If you wish, you could do this dembow
Drives you loco
Take a video
Watch it SloMo