(The European/Ingo Niebel). Im Baskenland tobt der Kampf um die Unabhängigkeit. Doch im Zweifelsfall hat Madrid das letzte Wort – und regiert mit harter Hand. Doch ein Gewaltverzicht der ETA eröffnet neue Möglichkeiten zum Kompromiss.
“Selbstbestimmungsrecht” ist das Wort, dass das politische Madrid mehr reizt als das rote Tuch den spanischen Stier. Wer es in der spanischen Verfassung verankern will, übernimmt eine Hauptforderung der Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, “Baskenland und Freiheit”). Ergo ist er ein “Terrorist”, der Spanien “balkanisieren” will. Darin sind sich der sozialistische Expremier Felipe González (PSOE) und der Führer der konservativen Volkspartei (PP) Mariano Rajoy einig. Und der amtierende Regierungschef Jose Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) hat gerade erst beschworen: “Wir werden mit Stolz die Idee von España verteidigen”.
Dass Stolz – erst recht der eines Spaniers – töten kann, weiß man im Reich von Juan Carlos I. Im Bürgerkrieg (1936–1939) starb eine halbe Million Menschen. Weitere 150.000 exekutierten die siegreichen Faschisten, um ihre “Einheit Spaniens” abzusichern. Allein in der Provinz Navarra meuchelten General Francisco Francos Schergen ein Prozent der Bevölkerung, um auch dort das baskische Freiheitsstreben auszurotten. Aber in Madrid ist es politisch viel korrekter, auf die 860 Toten zu verweisen, die die 51 Jahre alte ETA seit 1968 zu verantworten hat. Auf die 350 Opfer der staatlichen Repression und die 750 politischen Gefangenen muss man nicht verweisen.
Nur “España” gilt als Nation
Franco starb zwar 1975, aber die Verfassung von 1978 übernahm sein Wunschbild von der “unteilbaren Einheit” der “spanischen Nation”. Als deren Garant nennt Artikel 6 ausdrücklich das Militär – und das lebt seine Prätorianerrolle aus. 2006 erklärte sich Heereschef José Mena Aguado sofort einsatzbereit, um gegen das neue katalanische Autonomiestatut auszurücken. Er sah Spaniens Einheit gefährdet, weil sich Catalunya zur Nation erhob. Dieser völkerrechtliche Status steht laut Constitución nur España zu; die Regionen nennt sie “Nationalitäten”, deren Autonomie sie per Parlamentsbeschluss aussetzen kann. Die Panzer blieben in den Kasernen, der General kam in den Hausarrest. Stattdessen schickte die PP die Verfassungsrichter vor. Sie kassierten im Sommer das “Estatut”.
Die Aktion rettete zwar den Geist der Verfassung, aber sie hat den Autonomiestaat zerstört. Denn das höchstrichterliche Urteil vermittelt den Katalanen die verheerende Botschaft, die Basken längst kennen: Ihr könnt demokratisch bestimmen, was ihr wollt, aber Madrid hat das letzte Wort. Zuvor hatten Kataloniens Bürger als Souverän der Staatsmacht das Statut gleich dreimal abgesegnet: zuerst über die Parlamente in Barcelona und Madrid, zuletzt in einem Referendum. Gegen die Madrider Willkür protestierten 1,5 Millionen Katalanen. Seitdem ist die Zustimmung für die Unabhängigkeit von Spanien auf historische 47 Prozent gestiegen.
Gewaltverzicht eröffnet neue Wege
Eine weitere Zentrifugalkraft ballt sich im Baskenland zusammen. Trotz Verbots und Verfolgung kann die linke Unabhängigkeitsbewegung Friedensinitiativen lancieren. Damit hat sie sogar die ETA veranlasst, das Primat der Politik anzuerkennen und auf Gewalt zu verzichten. Daraus kann sich eine Lösung wie in Nordirland entwickeln. Madrid muss sich entscheiden: Die Verbotspolitik “israelisiert” den Konflikt; das Selbstbestimmungsrecht in der Verfassung führt zum Frieden. Während Sinn-Féin-Chef Gerry Adams der ETA gerade sein irisches “How to Make Peace” lehrt, wäre es hilfreich, wenn die EU den Spaniern wie schon 1975 helfen würde, ihre Verfassung zu reformieren. Denn Dänemark und das Vereinigte Königreich haben gezeigt, dass das Selbstbestimmungsrecht für Grönländer und Schotten sie nicht “balkanisiert” hat.
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