Harakiri mit Eierlöffel dauert bei Spaniens Volkspartei länger

Harakiri mit Eierlöffel dauert bei Spaniens Volkspartei länger

(berriak-news/Ingo Niebel) Noch-Parteichef Pablo Casado praktiziert den Rückzug auf Raten von seiner Führungsposition in der postfranquistischen Volkspartei (PP).

PP-Parteizentrale in Madrid
(2009) © Ingo Niebel

Manche treibt die Angst vor dem Tod in denSuizid. Die wenigsten wählen dafür den Harakiri mit dem Eierlöffel, weil es länger dauert. Für diese Methode hat sich jedoch PP-Parteichef Pablo Casado entschieden. Diese Entscheidung, mit stumpfen Mitteln an seiner politischen wie beruflichen Zukunft herumzusäbeln, hat seine Volkspartei in die tiefste Krise seit ihrer Gründung (1976/1989) gestürzt.

Das Polit-Schauspiel, das Thriller, Drama und Komödie miteinander vereint, dauert seit einer Woche an. Ein Ende ist noch nicht in Sicht. Dabei geht es nur vordergründig um einen Maskendeal mit Geschmäckle oder um persönlicher Ambitionen: Vielmehr entscheidet die zukünftige personelle wie inhaltliche Ausrichtung der PP, ob es eine Reform des politischen Systems geben wird oder nicht. Hierzu muss sie aber zuerst ihre interne Krise so rasch wie möglich lösen.

Als Nachfolger von Casado als Parteichef und Fraktionsführer bringt sich der Ministerpräsident der Autonomen Gemeinschaft Galicien, Alberto Núñez Feijóo, in Stellung. Im Moment scheint er der einzige zu sein, der den Zerfall der PP aufhalten kann. Der Zersetzungsprozess schreitet voran, weil Casado die tatsächliche Lage zu lange verkannt hat und daher nur sehr langsam das Feld räumt.

Eine Partei demontiert sich

Seine politische Kurzsichtigkeit kommt nicht von ungefähr. Nicht minder lernresistent zeigte sich sein gewesener Generalsekretär Teodoro García Egea. Letzterer verstand sich als graue Eminenz, die sich seit 2019 darauf versteift hatte, dem neuen Parteichef den Rücken frei und selbigen unter Kontrolle zu halten. Als starker Mann in der Parteizentrale an der Génvoa-Strasse in Madrid neutralisierte Egea jeglichen innerparteilichen Widerstand gegen seinen Chef.

Casado hatte Mariano Rajoy beerbt, nachdem die Opposition den Premier in einem Misstrauensvotum durch den Sozialdemokraten Pedro Sánchez (PSOE) ersetzt hatte. Zum Zweck der Machtsicherung zeigte sich Egea bei der Wahl seiner Mittel keineswegs zimperlich. Der dadurch verursachte Mangel an Freund:innen hat sich in dieser Krise gerächt.

Die letzte, die vor ihm kuschen sollte, war die Ministerpräsidentin der Autonomen Gemeinschaft Madrid, Isabel Díaz Ayuso. Der regionale Shooting-Star der PP bestand partout darauf, zukünftig den Madrider Landesverband zu leiten. Casado behielt sich bei der Personalie das letzte Wort vor, aber Ayuso gab nicht klein bei. Die immer offensichtlichere Führungsschwäche ihres Parteichefs animierte sie, auf ihrer Forderung zu bestehen.

Im Herbst startete Egea den Versuch, die renitente, aber auch erfolgreiche Parteifreundin zur Räson zu bringen. Als geeignetes Mittel erschien ihm der Umstand, dass Ayusos Regionalregierung ihren Bruder Tomás mit einem Maskendeal bedacht hatte. Anstatt von der Justiz prüfen zu lassen, ob es sich hier um Vetternwirtschaft und Vorteilsnahme oder um ein legales Geschäft handelte, dachten die beiden Herren aus der Génova, sie könnten die Dame mit Sitz an der Puerta del Sol mit einschlägigen Dokumenten zum Einlenken zwingen.

Fatale Fehleinschätzung

Der Schuss ging nach hinten los, weil Casado und Egea Ayuso falsch einschätzten. Ein Maskendeal reicht definitiv nicht aus, um sie klein zu kriegen. Die beiden Parteimänner übersahen offensichtlich, dass ihre Gegenspielerin bisher wesentlich brisantere Fälle unbeschadet überstanden hat. Dazu gehört zum Beispiel der Tod von mehreren Tausend Altenheimbewohner:innen während des ersten Pandemiejahres. Im Juni 2020 wurde eine Verordnung der Madrider Landesregierung bekannt, die verbat, schwer Pflegebedürftige aus ihrem Altenheim in ein Krankenhaus zu verlegen. Eine Bürgerbewegung fordert Aufklärung, da sich weder Justiz noch Politik in der Lage sehen, in der Sache zu ermitteln oder eine parlamentarische Untersuchungskommission einzusetzen.

Wem derartiges gelingt, der lässt sich mit einem Maskendeal nichts in Bockshorn jagen. Pech für Casado und Egea, dass Ayuso obendrein noch die Chuzpe hatte, in die Offensive zu gehen. Der Versuch, sie mit dem Maskendeal unter Druck zu setzen, kam an die Öffentlichkeit. Anstatt den Deal kleinzureden, nahm die Ministerpräsidentin dazu Stellung und zog selbst die Register.

Machtdemonstration vor der Parteizentrale

Am Sonntag ließ sie – oder ihr Spin-Doctor Miguel Angel Rodríguez (MAR) – mehrere Tausend Menschen vor der Parteizentrale in Madrid demonstrieren. „Alle für Ayuso, Casado Rücktritt“, erschallte es in der Calle Génova. Dabei dürfte es sich keineswegs um eine Spontandemo gehandelt haben, wie die professionell gemachten Plakate mit der Aufschrift „Ayuso – Moncloa 2023“ vermuten lassen.

Ob die Politikerin nach den regulären Parlamentswahlen als erste Frau in den Regierungspalast La Moncloa einziehen wird, muss sich noch zeigen. Zuerst müsste sie zumindest Landesvorsitzende werden. Die Machtdemonstration vor der Parteizentrale verfehlte ihre Wirkung nicht, wenngleich Casado die Zeichen der Zeit immer noch nicht verstand. Daher ging der Harakiri mit dem Eierlöffel auch den ganzen Montag über weiter. Mahnrufe aus den Landesverbänden verhallten beim Parteichef ungehört.

Angesichts Casados Ignoranz zielte der innerparteiliche Druck darauf ab, seine Unterstützer zu dezimieren. Als erster fiel gestern Madrids Oberbürgermeister José Luis Martínez-Almeida um. Um den Hauptstadtposten und seine Parteikarriere zu retten, stellte er gestern Mittag sein Amt als nationaler Sprecher der Partei zur Verfügung. Bereits letzte Woche hatte seinen persönlichen Strippenzieher Angel Carromero geopfert. Der gechasste Parteisoldat ließ gestern auch seine Parteimitgliedschaft ruhen. Seine Karriere begann unter Casado, als dieser die PP-Jugendorganisation Nuevas Generaciones führte, und endet mit ihm fürs erste.

Den selben Weg wie Carromero musste Generalsekretär Egea beschreiten, der sich bis zuletzt weigerte, seinen Posten zu räumen. Hierzu bedurfte es des offenen Bruchs mit Casado. Am späten Dienstagabend nutzte Egea ein TV-Interview, um sich als Bauernopfer darzustellen. „Ich gehe nicht, weil wir etwas falsch gemacht hätten, sondern ich gehe, um einen Parteikongress zu ermöglichen“, rechtfertigte er sich. Der PP nahestehende Medien berichten jedoch einstimmig, dass 16 der 17 Landesvorsitzenden von Casado den Kopf seines Generalsekretärs gefordert hatten.

Ehrenvoller Abgang

Erst am späten Dienstagnachmittag gab der Parteichef nach. Bis dato hatte er gehofft, dass er sich noch bis zu einem offiziellen Parteitag im Juli würde durchwursteln können. Die Landeschefs erzwangen letztendlich, dass er für den 1. März einen außerordentlichen Parteitag einberief. Schließlich bat Casado nur noch um einen „ehrenvollen Abgang“.

Den bekam er für den heutigen Mittwoch zugestanden. Bei der Regierungsbefragung nutzte er sein Fragerecht als Oppositionsführer, um sich von der politischen Bühne zu verabschieden. In seiner Rede sprach er vom „Respekt gegenüber den Gegnern“, obwohl er just diesen in seiner Frontalopposition gegen die linke Minderheitsregierung von Premier Pedro Sánchez (PSOE) immer wieder missen ließ. Der Sozialdemokrat verkündete in seiner Replik, er werde die Krise der PP nicht ausnutzen, indem er vorgezogene Neuwahlen ausriefe.

Das wäre ein Alptraum-Szenario für die Volkspartei, deren Anführer wie Ayuso und Feijóo immer noch glauben, sie könnten bei kommenden Wahlen die absolute Mehrheit zurückgewinnen. Die Entwicklung der spanischen Landschaft läßt Zweier- oder Dreier-Koalitionen als wahrscheinlicher erscheinen als stabile Einparteienregierungen. Außerdem zeigen aktuelle Umfragen, dass die PP Gefahr läuft, ihre Position als zweitstärkste Partei an die neofranquistische VOX von Santiago Abascal zu verlieren. Hieraus ergibt sich die grundlegende Frage, ob die zukünftige PP die neurechte Konkurrenz als solche bekämpfen oder ob sie mit ihr spanienweit kooperieren wird.

In der Zwischenzeit geht der politische Harakiri weiter.

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