Geschichtspolitik, ein Kollateralschaden des Ukraine-Krieges

Geschichtspolitik, ein Kollateralschaden des Ukraine-Krieges

Nach der Wahheit hat der russisch-ukrainische Krieg die deutsche Geschichtspolitik zum Kollateralschaden gemacht. Die “Nazifizierung” des russischen Präsidenten hilft dem neurechten Geschichtsrevisionismus.

Jahrzehntelange Bildungsarbeit bedurfte es, bis Deutschsprechende in der Bundesrepublik aufhörten, unbedacht NS-Sprech zu gebrauchen. Statt etwas “bis zur Vergasung” zu tun, machen sie es nur noch bis zum Geht-nicht-mehr. Der Euphemismus “Reichskristallnacht” wich der “Reichsprogromnacht”. Diese wiederum machte den “Novemberpogromen” Platz, die das historische Geschehen in der Nacht des 9./10. November 1938 genauer beschreiben. Jetzt aber droht das Pendel zurückzuschwingen und das mühsam Erreichte zu zerschlagen.

Russischer Video-Clip, der das Z mit “DenaZification” promotet (Quelle: Twitter)

Zweifelsohne hat Russlands Präsident Wladimir Putin mit seiner Geschichtsklitterung diese Dynamik befeuert. Den Einmarsch in den souveränen Staat Ukraine als “DenaZification” zu verbrämen, setzte dem Ganzen die Krone auf. Seine Propagandamacher dachten, dass herausgehobene Zett sei eine tolle Idee, um die Existenz des Buchstaben auf vielen russischen Militärfahrzeugen zu erklären. Es war der späte Versuch Moskaus in diesem Konflikt, das NS-Narrativ für sich umzumünzen. Den ersten Schritt zur “Nazifizierung” des antirussischen Diskurses hatten jedoch andere getan.

NS-Diktion eines EVP-Abgeordneten

Bereits eine Woche vor der Invasion hatte der EU-Abgeordnete Michael Gahler (CDU) im DLF-Interview eine Salve von NS-Vergleichen abgeschossen, um Putin zu “nazifizieren”. Dazu gebrauchte er Textbausteine wie “Heim ins Reich”, “Rest-Ukraine” in Analogie zur “Rest-Tschechei”, die Hitler 1939 besetzte. In diesem Sinne führte der außenpolitische Sprecher der EVP-Fraktion weiter aus, dass die heutige Ukraine nicht in der Situation von Nazi-Deutschland sei, die drohe die Sowjetunion anzugreifen, sondern umgekehrt sei sie “in der Situation der Tschechoslowakei oder Polens kurz vor Ausbruch des Krieges”. “Damals hat der Westen mit Appeasement […] diese Länder hängen lassen”, behauptete Gahler.

Zur Putin-Rede sagte der hessische Politiker, “die hätte auch als Begründung für eine totale Kriegserklärung an die Ukraine und auch eigentlich an uns gereicht.” Gahlers Wortwahl erinnert an die rhetorische Frage, die NS-Propagandaminister Goebbels 1943 im Berliner Sportpalast stellte: “Wollt ihr den totalen Krieg?”

Bei Gahlers rhetorischer “Nazifizierung” des russischen Präsidenten blieb es nicht. Im Rückblick stellte sie lediglich die Ouvertüre dar. Nach Kriegsbeginn folgte die ukrainische Propaganda mit ihrer eigenen Melodie. Sie folgt dem Leitmotiv, Putin mit Hitler gleichzusetzen. Den Auftakt machte eine farbige Karikatur. Darin beugt sich ein lächelnder, übergroßer Hitler hinunter zum artig aufschauenden, kleinen Putin, den er wohlwollend tätschelt.

Westlich der Oder-Neisse-Grenze machte die Rückkehr des Krieges als Mittel der Politik nach Europa die Öffentlichkeit sprachlos. Putins Verhalten erschien unerklärlich. Angesichts der Bilder von bombardierten Häusern, Toten und Verletzten, und von Flüchtlingen, die sich nach Westeuropa retteten, machte sich Sprachlosigkeit breit. Dadurch entstand ein Vakuum, das Politiker, Medienleute und Interviewte mit NS-Vergleichen füllten. Sie ließen den Damm brechen, der bis dato die Verharmlosung des Nazismus und des Holocausts zumindest sprachlich noch einigermaßen in Grenzen hielt. Der freihändige Umgang mit der NS-Vergangenheit kann Geschichtswissenschaftler:innen nur erschaudern lassen. Wieder einmal schiebt die Gegenwart die Vergangenheit vor, um von ihren Fehlern abzulenken. Dabei gehen ihr Ignoranz und Intention zur Hand.

Putins “Vernichtungskrieg”

“Nachdem der geplante Blitzkrieg gescheitert ist, geht er jetzt zu einem Vernichtungskrieg über, dessen Ziel in der Zerstörung der Ukraine als Staat und Nation besteht”, zitiert t-online den Historiker Martin Schulze Wessel Anfang März. Auf n-tv konnte der Politikwissenschaftler Sven Bernhard Gareis erklären, warum es sich bei der Aggression (noch) nicht um einen Vernichtungskrieg handelt.

Die Geschichtswissenschaft hat herausgearbeitet, dass Hitler mit seinem Überfall auf die Sowjetunion 1941 zwei Ziele verfolgte: Militärisch wollte er Gebiete bis zum Ural und Kaukasus erobern und ideologisch motiviert mehrere Millionen “Untermenschen” vernichten. Eroberung und Vernichtung waren zwei Seiten ein und derselben Medaille. Die erste Aufgabe übertrug Hitler der Wehrmacht; die zweite übernahm die SS. Letztere organisierte über ihr Reichssicherheitshauptamt (RSHA) die Einsatzgruppen und -kommandos, die hinter den vorrückenden Heereseinheiten Juden, kommunistische Funktionsträger und verdächtige Zivilisten ermordeten. Falls bei den Massenerschiessungen Not an Mann und Material war, konnten die Sonderheiten des Totenkopf-Ordens auf die Unterstützung von Wehrmacht und Waffen-SS zählen. Hierin liegt der Unterschied zwischen dem deutschen Vernichtungskrieg im Osten und dem russischen Krieg gegen die Ukraine.

Derartige wissenschaftliche Erkenntnisse scheinen jedoch heutzutage überwertet zu sein. Die Wissenschaftsfeindlichkeit, wie sie in der Pandemie zutage getreten ist, dringt jetzt bis in die Mitte von Politik und veröffentlichter Meinung vor.

Banalisierung des Holocaust

Kaum machte das Wort von Putins “Vernichtungskrieg” die Runde, legte der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba nach. “Die Ukrainer sind das jüdische Volk des 21. Jahrhunderts. Russlands Präsident Putin folgt der selben Logik wie Adolf Hitler”, echauffierte er sich am 6. März im Interview mit France 24.

Ins selbe Horn stieß am 20. März der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, als er sich per Video an das israelische Parlament wandte. “Hört darauf, was jetzt in Moskau gesagt wird: ‘Endlösung’, aber jetzt bereits in Bezug auf die ukrainische Frage”, sagte er den Knesset-Abgeordneten laut n-tv. “Das ist ein großflächiger und hinterhältiger Krieg, der auf die Vernichtung unseres Volkes, unserer Kinder, unserer Familien, unseres Staates abzielt”, fuhr Selenskyj fort. Aus der israelischen Regierung, Politik und seitens der Gedenkstätte Yad Vashem erhielt das Staatsoberhaupt heftigen Widerspruch. Trotz allem Verständnis für seine Lage verstand man in Israel seine Vergleiche als eine Banalisierung des Holocaustes.

Die veröffentlichte Meinung in Deutschland bezieht nicht so klar Stellung, wie es in Tel Aviv geschehen ist. Hierzulande herrscht der Eindruck vor, als müsse auf Teufel komm raus das neue Feindbild vom “irren” Putin bewahrt werden. Gleichzeitig gilt es, die ebenfalls neuerschaffene “Heldenfigur” Selenskyj vor jeglichen Schaden zu schützen. Dazu gehört es, erstens, Putins “DenaZification” als Propagandalüge darzustellen; zweitens die Rolle von neonazistischen Kampfeinheiten wie dem Asow-Regiment so klein wie möglich zu halten. Heraus kommt dann, dass man Nazis flugs zu “ultrarechts” downgraded. Die spanische rechtskonservative Zeitung ABC bringt das Kunststück fertig, zuerst über die aktuelle SS-Symbolik von Asow fachkundig zu informieren, um dann nachzuschieben, die Einheit hätte sich entnazifiziert. Ihrer Meinung nach würde nur noch Putin sie Nazis nennen. Kurzum, was nicht ins Framing passt, wird so lange wie möglich ausgeblendet, passend gemacht oder niedergeschrieen. Letzteres kann der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, besonders gut.

“Halten Sie lieber ihre linke Klappe”, blaffte er den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Fabio de Masi “& all Ihre Kumpels” per Twitter an.

Der Linkspolitiker hatte den Diplomaten der Lüge beschuldigt. “Dass das Asow Regiment mit Nazi Flaggen posiert und gefährliche Faschisten in den eigenen Reihen duldet, haben sich diesmal nicht die Russen ausgedacht”, hatte De Masi zuvor getwittert.

Dass der Botschafter rechtsextremen und neonazistischen Strömungen nahe steht, dokumentierte er höchstpersönlich auf Twitter. 2015 verherrlichte Melnyk den ukrainischen NS-Kollaborateur Stepan Bandera in zwei Tweets. Im ersten ehrte der Diplomat den Antisemiten mit einem Besuch am Grab “des Helden der Ukraine”. In der englischen Fassung nennt er ihn “unseren Helden”.

Banderas Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B) beteiligte sich 1941 an Pogromen gegen Juden. Sie half der Einsatzgruppe C, 3000 Jüdinnen und Juden in Lviv (Lemberg) zu ermorden. Banderas Verhältnis zum NS-Regime blieb dennoch widersprüchlich. Zeitweise sass er als “Ehrenhäftling” im KZ Sachsenhausen ein. Nach dem Krieg lebte er unter falscher Identität in München. Dort fiel er 1959 einem Attentat des sowjetischen Geheimdienstes KGB zum Opfer. In Teilen der postsowjetischen Ukraine besitzt Bandera Heldenstatus, wie Melnyks Tweets belegen.

Deutsche Schuld am Weltkrieg wird minimiert

Indem die ukrainische Propaganda den Holocaust instrumentalisierte, hat eine allgemeine Banalisierung des NS-Regimes eingesetzt. Bis Mitte Februar waren es ausschließlich Neonazis und Neurechte die mit “Bombenholocaust” die Zerstörung Dresdens im Februar 1945 durch alliierte Bomber bezeichneten. Mittlerweile wird der Name der sächsichen Landeshauptstadt in einem Atemzug mit Mariupol genannt, der Flüchtlingsstrom aus der Ukraine mit dem aus den deutschen Ostgebieten verglichen. Ignoriert wird dabei, dass sowohl Flucht und Vertreibung als auch die Bombardierungen deutscher Städte Folgen des von Deutschen verursachten Weltkrieges waren. Und der begann nicht erst 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen, sondern schon 1936, als Hitler mit seiner Legion Condor im Spanischen Bürgerkrieg intervenierte. Exemplarisch steht dafür die Zerstörung der baskischen Stadt Gernika (Guernica) durch deutsche Flieger.

“Internationale Brigaden”

Die Druckwellen russischer Luftangriffe auf ukrainische Städte haben jegliches Geschichtsverständnis in der berichtenden Zunft in Zentraleuropa hinweg gefegt. So subsumiert der österreichische Standard alle in der Ukraine kämpfenden Ausländer und Söldner unter dem Oberbegriff “Internationale Brigaden“. Immerhin erwähnt die Verfasserin noch, dass sich unter dem Namen antifaschistische Freiwillige aus vielen Ländern organisierten. 1936 wollten sie die spanische Republik gegen faschistische Putschisten verteidigen. Ihnen stellt die Autorin die Legion Condor gegenüber, als ob sich ebenfalls um eine Freiwilligeneinheit gehandelt hätte. Sie übersíeht, dass es sich um einen militärisch durchorganisierten und hochgerüsteten Kampfverband gehandelt hatte. Die Begrifflichkeit der Internationalen Brigaden verwässert sie weiter, indem sie auf die spanische und französische Fremdenlegion rekurriert.

Die um sich greifende Geschichtsverwirrung geht einher mit der ukrainischen Propaganda. Gemeinsam setzen sie die bundesdeutsche Berichterstattung erheblich unter Druck, besonders wenn sie über tatsächliche Nazis wie das Asow-Bataillon schreibt. Kommt sie ihrer journalistischen Pflicht nach und der Realität zu nahe, tritt Melnyk lautstark auf den Plan.

Die aktuelle Lage und das beschämende Schweigen, das aus den Fehlern der deutschen Russland-Politik herrührt, lassen ihn gewähren. Fakt bleibt, dass Nazis ihr Nazisein dadurch ausdrücken, indem sie auch SS-Symbole wie den Totenkopf und die Schwarzen Sonne tragen. Wer sie deshalb Nazis nennt, steht neuderdings unter dem Generalverdacht, einer von Putins “DenaZification”-Propagandististen zu sein.

Vor beruflichen Rufmord scheint nur zu schützen, wenn man die Rolle des NS-lastigen Asow-Regiment minimiert. Es seien ja nur einige wenige, ist hier und dort zu lesen. Außerdem sei die Einheit ja in die Struktur der ukrainischen Armee eingebunden. Als solche liessen sie sich an der Offizierschule des Deutschen Heeres fortbilden, steht in einer Studie der George Washington Universität. Darüber breitet sich politisch gewollt ein Mantel des Schweigens.

Die Verharmlosung des Asow-Regiments schlägt jedoch auch auf Deutschland zurück. Sie torpediert die offizielle deutsche Linie, staatliche Strukturen zu “entnazifizieren”. Eben deshalb löste das Bundesministerium der Verteidigung 2021 eine Kompanie des Kommando Spezialkräfte (KSK) auf. Eine Mehrheit demokratisch gesinnter Soldat:innen in der Bundeswehr reichte anscheinend nicht aus, um die Extremisten in der Elite-Einheit einzuhegen. Der drastische Schritt passt zu einem längeren Prozess, in dem die Streitkräfte sich von dem NS-behafteten Traditionsdenken befreit haben.

Jetzt jedoch lässt Berlin die nötige Konsequenz missen. Es zeigt keine klare Kante in Sachen Asow-Regiment und Bewaffnung weiterer extremistischer Einheiten durch EU-Staaten. Stattdessen verfällt die hiesige Politik in einen neuen Aktionismus. Nach dem Sendeverbot von Russia Today und Sputnik überlegt sie, das weisse Zett, wie es auf russischen Militärfahrzeugen prangt, zu verbieten.

Verbot des Zett-Symbols

Führt also Putins “DenaZification” jetzt allen Ernstes zur “Entna*ifi*ierung”? Die Verbotsdebatte zeigt, dass die deutsche Politik sich indirekt durch die Kreml-Propaganda den Gebrauch von Symbolen diktieren lässt. Somit missachtet sie ein Grundprinzip von Sun Tzus Strategie “Die Kunst des Krieges”. Demnach soll man niemals das machen, was der Gegner von einem erwartet.

Das Standardwerk auf die aktuelle Lage hin zu analysieren, ist arbeitsintensiver. Simpler geht es mit der Cancel Culture: Wer oder was nicht ins Konzept passen, wird flugs ausgeladen oder verboten. Dieser einen Strömung des westlichen Zeitgeistes folgend hat die Versicherung Züricher gerade ihr weißes Zett-Logo gecancelt. Für das Unternehmen mag es die sehr teure Rettung der Corporative Identity bedeuten. Aufgeklärten Geister, die die intelektuelle Auseinandersetzung mit der putinschen “DenaZification” nicht scheuen ist, dürfte es wie eine Ohrfeige vorkommen.

Das heutige Deutschland machen Werte wie die Meinungs- und Informationsfreiheit aus. Anstatt sie zu verteidigen, wollen Exekutiven in Land, Bund und EU eben diese weiter einschränken. Weite Teile der politischen Entscheidungsträger:innen zeigen sich lernresistent und vollziehen 180 Gradwendungen. Weg von den russischen Sirenengesängen folgen sie nun nur allzu willig Initiativen aus Kiew. Das Verbot des weißen Zett-Symbols forderte zuerst der ukrainische Aussenminister Kuleba.

Die Bundesländer Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen fühlten sich angesprochen und preschten vor, obwohl sie damit ihre Kompetenzen überschritten. Ein Verbot erfolgt über das Strafgesetzbuch, und das ist Bundessache. Das Bundesministerium des Innern blickt zwar in dieselbe Richtung, drückt sich aber unklar aus:

“Der russische Angriffskrieg gegen die #Ukraine ist eine Straftat”, läßt Bundesinneministerin Nancy Faeser über Twitter mitteilen. Ein Angriffskrieg ist eine Straftat. Ob Russland sich dieser schuldig gemacht hat, entscheidet ein Gericht, keine Regierung, zumindest nicht in einem europäischen Rechtsstaat. “Wer diesen Angriffskrieg öffentlich billigt, kann sich strafbar machen”, schreibt das BMI. “Das gilt auch für das Zeigen des „#Z“-Symbols”, fügt es hinzu. Dafür fehlt aber aktuell die rechtliche Grundlage. “Die Sicherheitsbehörden des Bundes haben die Verwendung des Symbols im Blick”, warnt das Ministerium. Die Rechtslage ist aber viel komplizierter, als es das Inneministerium Glauben macht.

Die mögliche Strafbarkeit des Z-Symbols als Billigung des russischen Angriffskrieges müsste aus dem Strafgesetzbuch hergeleitet werden. Als Grundlage dient der Paragraf 140 Nr. 2, 138 Abs. 1 Nr. 5 in Verbindung mit dem Paragraf 13 des Völkerstrafgesetzbuches. Sie verbietet jedes Verhalten, “das als öffentlich zur Schau getragene Billigung eines Angriffskrieges zu verstehen und geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören”. Zuwiderhandlungen können mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe geahndet werden.

Das von Exekutiven angedachte Verbot kollidert jedoch mit dem Recht auf Meinungsfreiheit. Solange kein Gericht feststellt, dass Russland sich eines Angriffskrieges schuldig gemacht hat, handelt es sich um eine frei geäußerte Meinung. Dasselbe Recht gilt ebenfalls für die Verfechter der russischen Sichtweise, wonach Moskau eine “militärische Spezialoperation” zwecks “DenaZification” der Ukraine durchführt. So funktioniert Meinungsfreiheit im Rechtsstaat.

Das weisse Zett: nur ein Club-Logo oder schon Chiffre für “Angriffskrieg”? (© Ingo Niebel)

Der juristischen Klärung harrt, wo und wann das weisse Zett als Chiffre für den Angriffskrieg gilt und demnach strafbar wäre. Es existieren Firmen und Clubs, die sich nicht erst seit Kriegsbeginn mit dem Zeichen zieren. Und dann gibt es ja noch die fast in Vergessenheit geratene Filmfigur Zorro. Sie pflegte, ihre besiegten Gegner per Degenstreich mit einem Z zu signieren.

Angesichts der nicht unerheblichen juristischen Schwierigkeiten rudert gerade die schwarzgelbe NRW-Landesregierung zurück. Sie schwenkt auf die Linie von Bundesinneministerin Faeser ein, indem sie aufzeigt, was alles passieren könnte. In letzter Instanz müsste das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Sanktionierung des weißen Zett rechtens ist oder gegen das Grundgesetz verstößt.

Alternative zum Zett-Verbot

Anstatt den Buchstaben aus der Öffentlichkeit zu verbannen, läßt er sich – Sun Tzu folgend – gegen Putins Vereinnahmung einsetzen. Das Zauberwort heißt Kreativität. So kursiert in den Sozialen Netzen ein Meme, das im oberen Teil vorrückende russische Panzer zeigt. “Russia’s operation Z” steht rot auf der Aufnahme. Darunter zeigen vier Fotos zerstörte Tanks mit dem Hinweis: “Ukraine’s operation ‘Ctrl-Z'”. Mit dem Tastaturbefehl lassen sich vorangegangene Aktionen auf dem Computer rückgängig machen.

An kreativen Geistern dürfte es auch im Land der Dichter und Denker nicht mangeln. Hinzu kommen die Wissenschaften der Geschichte, Politik und Slavistik. Sie verfügen das Potential, die Propaganda beider Kriegsparteien zu entlarven. Medien können helfen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln. In der Summe entstünde so das Wissen, aus dem Deutschland sich eine eigene Position in diesem Krieg schaffen könnte. Sie hülfe, Werte – wie die wissenschaftsbasierte Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur und die daraus resultierende Geschichtspolitik – zu bewahren, anstatt sie dem politischen Opportunismus des Augenblicks zu opfern. Letzterer eröffnet neurechten Geschichtsrevisionisten den Raum, der ihnen bisher noch verschlossen ist.