Journalist:innen bezahlen den Preis für eine aufgeklärte Gesellschaft mit dem Leben, der Gesundheit oder ihrer Freiheit. Seit zwei Wochen hält Polen den freien Journalisten Pablo González gefangen ohne Kontakt zur Familie oder zum Vertrauensanwalt.
Am Sonntag starb der US-amerikanische Journalist Brent Renaud in der Nähe eines Kontrollpostens im umkämpften Irpin bei Kiew. Unbekannte beschossen den Wagen, in dem er sich befand. Der Fahrer und ein weiterer US-Journalist, Juan Arredondo, überlebten verletzt. Letzterer gibt an, von einem Kontrollposten aus beschossen worden zu sein. Die ukrainische Seite macht russische Soldaten für den Vorfall verantwortlich. Washington übernimmt diese Sichtweise; Moskau schweigt.
Es ist nicht einzige Preis, den Journalist:innen gerade für das Ideal einer aufgeklärten Gesellschaft bezahlen.
Der Tod von Renaud lenkt die Blicke weg vom Schicksal des Journalisten Pablo González. Er ist sitzt seit zwei Wochen in polnischer Untersuchungshaft. Die Sicherheitsbehörden verdächtigen ihn der Spionage für Russland. Die Justiz hat ihn in Untersuchungshaft genommen, die mindestens drei Monate dauern wird. Im schlimmsten Fall drohen ihm zehn Jahre Haft wegen Spionage gegen Polen.
Seit der Verhaftung verweigert Polen González den direkten Kontakt zu seinem Vertrauensanwalt Gonzalo Boye und seiner Familie. “Das Alles geschieht gerade in einem Land der Europäischen Union und wird durch das komplizenhafte Schweigen vieler gedeckt”, twittert sein Rechtsvertreter gestern.
Heute informiert Boye die Öffentlichkeit, dass Polen seinen Mandanten zwinge, sich durch einen Pflichtverteidiger vertreten zu lassen. Bisher habe er alle Aussagen im Polizeigewahrsam ohne anwaltlichen Beistand machen müssen.
Mit ihrem Verhalten verstößt die polnische Justiz gegen achtzehn Artikel der EU-Grundrechtecharta. In Brüssel und Madrid interessiert das im Moment niemand. Nur der Europarat hat sich des Falles angenommen. Er fordert von Polen eine offizielle Stellungnahme.
“Dass ein Journalist im Gefängnis landet, ist nicht gewöhnlich. Dass ein Journalist 13 Tage absolut isoliert wird, ohne mit seiner Familie sprechen zu können und noch nicht einmal mit seinem Anwalt, ist wirklich außergewöhnlich”, schreibt jetzt sein langjähriger Kollege Juan Teixeira. Vor einer Woche teilte das spanische Konsulat in Warschau der Ehefrau, Oihana Goiriena, lediglich mit, ihrem Gatten ginge es gut, er sei stark und ruhig. “Wir wissen nicht, wogegen er sich verteidigen muss”, stellte Boye am Mittwoch per Twitter fest.
Die Rolle der Geheimdienste
Am selben Tag bestätigte Spaniens sozialdemokratische Verteidigungsministerin Margarita Robles (PSOE) vor dem Parlament, dass ihr Militärgeheimdienst Centro Nacional de Inteligencia (CNI) gegen González ermittelt hätte. Sie sah sich genötigt zu unterstreichen, dass dabei aber die Unschuldsvermutung Vorrang gehabt hätte. Jegliche Beteiligung des Geheimdienstes an González’ Verhaftung in Polen wies sie zurück.
Sie reagierte so auf Medienberichte, wonach sich der Journalist Anfang Februar einem Verhör durch den ukrainischen Geheimdienst Sluschba bespeky Ukrajiny (SBU) unterziehen musste. Ihm wurden seine russische Abstammung und seine Sprachkenntnisse zur Last gelegt. Der Verdacht, “prorussisch” zu sein, begründeten die SBU-Agenten auch damit, dass er die Kreditkarte einer baskischen Sparkasse besass und in der baskischen Tageszeitung Gara publizierte.
Zeitnah zur Befragung in Kiew suchten CNI-Beamten González’ Mutter, Gattin und einen Jugendfreund in Spanien auf. Dass die spanischen Geheimdienstler dabei den Blickwinkel ihrer ukrainischen Amtskollegen einnahmen, wundert nicht weiter: Seit fünf Jahren versuchen die spanischen Sicherheitskräfte, die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien mit allen Mitteln zu diskreditieren, mit dem Ziel sie illegalisieren zu können. Dazu gehört auch, eine wie auch immer geartete “Russian Connection” zu etablieren.
Katalonien ist hierbei eine Variabel, die ebenfalls für das Baskenland stehen kann: Als Militärgeheimdienst sieht der CNI als seine erste Pflicht, die nationale Einheit zu schützen, koste es, was es wolle. Der Zweck heiligt die Mittel. Unpassende Fakten werden notfalls ausgeblendet. Dazu gehört die Tatsache, dass González als Freelancer auch für gesamtspanische Medien wie den Privatsender La Sexta und das Newsportal Público berichtete. Den Rest an Unstimmigkeiten beseitigen nationalspanische Medien, indem sie kurzerhand die Unschuldsvermutung ignorieren und falsch berichten.
Mediale Vorverurteilung
Teixeira nennt als Beispiel die Zeitung El Correo, die am 4. März titelte: “Pablo González, der Spionage für Russland angeklagter Journalist aus Bizkaia führte gefälschte Visa und Reisepässe mit sich”. Nach jetzigen Sachstand handelt es sich um eine falsche Tatsachenbehauptung.
Polen beschuldigt González, für den russischen Militärgeheimdienst Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU, Hauptverwaltung für Aufklärung) spioniert zu haben. Überprüfbare Beweise liegen nicht vor. Anklage wurde bisher nicht erhoben. Dass der Festgenommene gefälschte Ausweispapiere mit sich geführt hätte, behauptet noch nicht einmal die offizielle Pressemeldung vom 4. März. “Bei dem Häftling wurde umfangreiches Beweismaterial sichergestellt, das derzeit eingehend analysiert wird”, heißt es dort vage. Dass González gefälschte Ausweise bei sich geführt hätte, steht dort nicht.
Teixeira schreibt, dass sein Kollege die doppelte Staatsbürgerschaft besitzt. Weiter erklärt er, dass “in dem russischen Reisepass sein Vorname auf Russisch [Pavel, IN] mit dem Nachnamen seines Vaters steht, und in dem spanischen Reisepass der Vorname auf Spanisch mit dem Nachnamen seiner Mutter”. Die Unklarheiten ließen sich mittels der offiziellen Papiere leicht aufklären, fügt der Journalistenkollege hinzu. Ihren Ursprung haben sie in der Familiengeschichte.
González’ Großvater väterlicherseits gehörte zu jenen Tausenden von Kindern, die während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) Zuflucht in der Sowjetunion fanden. Bis zu seinem neunten Lebensjahr wuchs sein Enkel Pablo in Moskau auf. Dann ließen sich dessen Eltern scheiden. Die Mutter, spanischer Abstammung, kehrte auf die Iberische Halbinsel zurück, und nahm ihren damals neunjährigen Sohn mit. Der Vater blieb in Moskau. Pablo studierte Slawistik, hielt weiterhin Kontakt zum Vater in Russland und spezialisierte sich als Journalist auf den postsowjetischen Raum.
Dass eine Person mit doppelter Staatsangehörigkeit unterschiedliche Namen in seinen offiziellen Ausweispapieren kann, dürfte sich erster Linie durch die bürokratischen Modalitäten des jeweiligen Ausstellerlandes und die Familienkonstellation erklären lassen. Damit wollte sich der CNI anscheinend nicht beschäftigten. Obwohl der Journalist nach der Befragung in Kiew in seine baskische Heimat zurückkehrte und sich dort zwei Wochen aufhielt, kontaktierte der Geheimdienst ihn nicht.
Einen Tag nach dem russischen Angriff auf die Ukraine reiste González zurück nach Polen, um aus der Grenzstadt Rzeszow über den zu erwartenden Flüchtlingsstrom aus der Ukraine zu berichten. Am 28. Februar verhaftete der polnische Inlandsgeheimdienst Agencja Bezpieczeństwa Wewnętrznego (ABW) den Journalisten in Przemysl und nicht wie anfangs gemeldet in Rzeszow. Seitdem befindet er sich in Isolationshaft.
Incomunicado, ein Synonym für Folter
Diese besondere Art des Polizeigewahrsams weckt gerade im Baskenland, wo González lebt und arbeitet, berechtigte Sorgen um die körperliche Unversehrtheit des Verhafteten: Die spanische Polizeien nutzten die Incomunicado-Haft, um Verdächtige zu foltern. Das war möglich, weil sie verhaftete Personen für mehrere Tage von der Umwelt isolieren konnten. Die Familien wussten nicht, auf welcher Polizeiwache sich ihre Angehörigen befanden; die Betroffenen konnten weder Anwält:innen noch Ärzt:innen ihres Vertrauens konsultieren. Folter hat zum System der Polizeiarbeit gehört, wie zahlreiche Fälle belegen. Der spanische Staat schützt seine Folterer, indem er Anzeigen nicht verfolgt hat. Das belegen mehrere Fälle, in denen EU-Gerichte gegen Spanien wegen unterlassener Ermittlungen urteilten. Falls doch mal ein Polizist wegen Folter oder Misshandlung verurteilt wurde, schadete das seiner Karriere keineswegs: So mancher wurde trotzdem – oder gerade deswegen – befördert.
EU-Grundwerte stehen auf dem Spiel
Im Fall González geht es einerseits um seine körperliche Unversehrtheit und das Grundrecht, sich als beschuldigter EU-Bürger mit den Mitteln des Rechtsstaates gegen die erhobenen Vorwürfe wehren zu können. Andererseits geht es um nicht weniger als die Presse- und Informationsfreiheit innerhalb der EU auf dem Spiel.
“Denn nicht nur Pablos Leben steht auf dem Spiel, sondern auch das der misshandelten Presse- und Meinungsfreiheit”, unterstreicht auch Teixeira und fährt fort: “Ohne unabhängige, professionelle Journalisten steht die Gesellschaft blind vor dem, was in der Welt geschieht, und wird so leicht manipulierbar.”
Dass der Krieg die Wahrheit meuchelt, ist kein Novum, weil Desinformation immer schon zur Kriegsführung gehört hat. Alle Beteiligten greifen auf sie zurück, wie sie es für zielführend erachten. Zensur gehört mit dazu.
Moskau hat verboten, von einem “Krieg” in der Ukraine zu sprechen. Stattdessen gilt es, schönredend von einer “militärische Spezialoperation” zu sprechen. Die EU-Kommission meinte, ihrererseits die Ausstrahlung der russischen Staatsmedien Russia Today (RT) und Sputnik zu unterbinden. So nimmt sie den hiesigen Medien die Möglichkeit zu beweisen, dass sie objektiver berichten als die der russischen Gegenseite. Indirekt erklärt sie ihre Bürger:innen für unmündig und unfähig, die mediale Spreu vom Weizen trennen zu können. Information ist jedoch kein Produkt, dass sich per DIN auf einen einzigen Standard festlegen läßt: Sie ist primär subjektiv. Ihre Objektivität erhält sie erst durch die subjektive Selbstkontrolle der berichtenden Person, das Finden von Fakten und durch das Gegenchecken. Letzteres entblösst die Fake News, vulgo Lügen.
Die Maut für den Weg dorthin bezahlte Renaud mit seinem Leben, Arredondo mit seiner Gesundheit und González mit seiner Freiheit.