(berriak-news/Ingo Niebel) 1995 zeigte das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) erstmals die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“. Als so genannte „Wehrmachtsausstellung“ sorgte sie fünf Jahre lang für kontrovers geführte Debatten. Heute scheint es so, als sei es ruhig um das Thema geworden. Ende gut, alles gut?
Antworten auf diese und weitere Fragen gab ihr erster inhaltlicher Leiter, Hannes Heer, am 7. November 2015 bei seinem Vortrag „70 Jahre Kriegsende. 20 Jahre Wehrmachtsausstellung. Das Ende der Legende von der ‘sauberen Wehrmacht’ und die neuen Legenden“ im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln vor etwa vierzig Zuhörern. Nach gut zweieinhalb Stunden blieb der Eindruck, dass die Ausstellung damals
einen Prozess der Selbstfindung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft in Gang setzte, der sich heute noch in den Publikationen von Kriegskindern und -enkeln widerspiegelt. Ihre Aktualität sahen Diskussionsteilnehmer in den Militäreinsätzen der Bundeswehr und in den Versuchen von Politik, Publizistik und Kino, das Bild des deutschen Soldaten in Vergangenheit und Gegenwart trotz – oder gerade wegen der Wehrmachtsausstellung – umzudeuten. Aber ohne „Big Money“, so Heer, werde es wohl keine dritte Ausstellung geben.
In seinem Vortrag riss er vier Aspekte an, um aus seinem Rückblick auch einen Ausblick zu machen. Zuerst ging er auf „die Legende der sauberen Wehrmacht“ ein. Sie erfuhr ihre Dekonstruktion nicht zuletzt durch die Fernsehserie „Holocaust“, die der WDR 1979 ausstrahlte. Eine „Heldentat“ nannte Heer die Entscheidung des Senders. Die Folge war, dass der tabuisierte Massenmord an den Juden wieder Gesprächsthema in (bundes)deutschen Familien wurde. Erste Hinweise tauchten auf, dass nicht nur die SS, sondern auch die Wehrmacht an jenen Verbrechen beteiligt war. Anschließend umriss Heer die Geschichte der ersten Ausstellung. Sie brachte als Grundtenor die Frage hervor: „Vater, wo warst du?“. Sie findet sich in Gästebüchern, die in den 34 ausstellenden Städten in Deutschland und Österreich auslagen. Kriegsteilnehmer erinnerten sich an Verbrechen, einige übernahmen dafür Verantwortung, andere leugneten sie. So bewirkte die Ausstellung die „magische Rückkehr der Täter“, wie es Heer nannte. Aber auch der politische und mediale Druck gegen sie stieg. Geschichtswissenschaftler äußerten Kritik, wiesen auf Fehler hin. Sie wurde ausgesetzt und überarbeitet. Der Leiter des HIS, Jan Philipp Reemtsma, trennte sich von Heer.
Letzterer kritisierte im dritten Teil die Aussage der 2. Wehrmachtsausstellung als „Taten ohne Täter“. Zuletzt ging Heer auf die „neuen Legenden“ ein, wie sie der deutsche Geschichtsfilm seiner Meinung nach ab 2004 um die Wehrmacht gewebt hat. Im Spannungsfeld von „faustdicker Lüge oder künstlerischer Freiheit“ zeigte der Historiker am Beispiel der Filme „Der Untergang“ und „Unsere Mütter, unsere Väter“, wie das Bild der „sauberen Wehrmacht“ eine Neuauflage erhalten hat.
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