Im Baskenland sind seit 2011 die Bedingungen gegeben, den Konflikt zwischen der Region, der Untergrundorganisation ETA und den Regierungen in Madrid und Paris politisch zu lösen. Aber nur die ETA scheint zu Verhandlungen bereit zu sein. Deshalb stagniert der Prozess.
(Der Text erschien 2015 auf den Seiten der Bundeszentrale für politische Bildung. Er wurde in den folgenden Jahren aktualisiert.)
Der Weg zum Frieden
Nachdem 2007 die Gespräche zwischen der spanischen Regierung, der verbotenen baskischen Linkspartei Batasuna und der Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, Baskenland und Freiheit) um eine politische Lösung des Konflikts gescheitert waren, sah es zunächst so aus, als würde erneut eine Dekade der Gewalt folgen. Doch 2010 entschieden sich weite Teile der ebenfalls verbotenen linken Unabhängigkeitsbewegung, zukünftig nur noch mit politischen Mitteln und gewaltfrei für das gemeinsame Ziel – die Bildung eines baskischen (sozialistischen) Staates – zu kämpfen. Die ETA akzeptierte diesen Paradigmenwechsel, der im linken Lager das Primat der Politik durchsetzte. In der Folge entwickelte sich eine Dynamik, die mehrere linksnationale Kräfte veranlasste, sich in der Parteienkoalition EH Bildu zusammenzuschließen.
Auf der internationalen Ebene unterstützten Experten für Konfliktlösung die Entwicklung, indem sie u.a. fünf Friedensnobelpreisträger davon überzeugten, den Prozess mitzutragen. Das angestrebte Lösungsmodell orientiert sich an den Erfahrungen aus Südafrika und Nordirland. (Links zu den Beiträgen Nordirland und Südafrika in Kapitel 6) In der Folge fand im Oktober 2011 unter Leitung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan eine Konferenz im baskischen Aiete statt, auf der die internationalen Unterstützer einer Verhandlungslösung die ETA aufriefen, den bewaffneten Kampf einzustellen. Die Regierungen in Madrid und Paris sollten ihrerseits darauf mit einer konstruktiven Geste reagieren. Am 21. Oktober 2011 erklärte die ETA das Ende “aller bewaffneten Aktivitäten”. Diese Entscheidung markiert eine Zäsur in der Geschichte der ETA, die sich 1958 gebildet hatte und seit 1968 gewaltsam gegen den spanischen Staat kämpfte.
Erfolge und Stagnation
Der Schritt der ETA hat das politische und gesellschaftliche Leben im Baskenland normalisiert. Einerseits mussten Politiker der gesamtspanisch orientierten Parteien, Angehörige der Sicherheitsbehörden und Unternehmer nicht mehr fürchten, Ziele von Anschlägen zu werden. Andererseits akzeptierten die Parteien der linken Unabhängigkeitsbewegung das restriktive Parteiengesetz, auf dessen Basis in der Vergangenheit diverse Verbote ergangen waren. Wie die Wahlen ab 2011 zeigen, bildet EH Bildu zurzeit die zweitstärkste politische Kraft in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft. In der Foralen Gemeinschaft Navarra (baskisch: Nafarroa)1 regiert seit 2015 eine Mehrparteienkoalition aus nationalbaskischen und linken Formationen.
Es gibt erste Ansätze dafür, dass die baskische Gesellschaft den gewaltsamen Konflikt aufarbeitet. Der Konflikt hat ca. 1.300 Todesopfer auf beiden Seiten gefordert. Dazu kommen noch etliche tausend Folteropfer. Die Gesprächsforen sind aber noch weit davon entfernt, den Charakter von “Wahrheitskommissionen” anzunehmen. Bisher bestreitet der spanische Staat, dass staatliche Gewalt unter der Franco-Diktatur eine zentrale Konfliktursache gewesen ist. Gesamtspanische Verbände von ETA-Opfern lehnen den Dialog bisher grundsätzlich ab.
Die Redemokratisierung des politischen Lebens trug mit dazu bei, dass der von linken Jugendlichen geführte “Straßenkampf” (baskisch: kale borroka) mit den charakteristischen Brandanschlägen, z.B. gegen öffentliche Verkehrsmittel und Bankautomaten, nahezu völlig aufhörte. An seine Stelle traten neue, gewaltfreie Formen des zivilen Widerstands. Schließlich erkannte auch das Kollektiv der Politischen Baskischen Gefangenen (EPPK) öffentlich den spanischen Rechtsrahmen an.
An dieser Stelle stagniert der Lösungsprozess, da die konservative Regierung in Madrid unter Premier Mariano Rajoy (PP) darauf besteht, dass sich die ETA bedingungslos auflöst. Ob dann über die Freilassung der ca. 420 Gefangenen (Herbst 2015) gesprochen werden kann, ist fraglich. Derweil dauern alle polizeilichen Verfolgungsmaßnahmen gegen die ETA an. Ferner führt die spanische Justiz, besonders das Sondergericht für Terrorismusdelikte (Audiencia Nacional), umfangreiche Verfahren gegen die ETA und ihr sogenanntes Umfeld fort. Sie möchte bisher ungeklärte ETA-Attentate sühnen, und sie verfolgt u.a. zivilgesellschaftliche Organisationen unter dem Verdacht, auf Befehl der Untergrundorganisation tätig gewesen zu sein. Auch bleiben die teilweise gesetzwidrigen Sondermaßnahmen gegen Häftlinge mit ETA-Hintergrund bestehen.
Probleme und Defizite
Der Grund für die Stagnation ist dem Umstand geschuldet, dass weder Madrid noch Paris die internationalen Experten als Vermittler akzeptieren und sogar als potenzielle Unterstützer der ETA behandeln. Beide Exekutiven lehnen die Lösungsmodelle grundsätzlich ab, die in Südafrika und Nordirland erfolgreich gewesen sind. Paris betrachtet das Ganze als ein innerspanisches Problem und beschränkt sich auf die Unterstützung der spanischen Polizei bei der Verfolgung der ETA. In Frankreich werden ETA-Mitglieder primär polizeilich und juristisch verfolgt. Paris ist nicht bereit, der baskischen Minderheit in Frankreich sprachliche und kulturelle Rechte zu gewähren. Die Ratifizierung der EU-Charta der Minderheitensprachen wird auf die lange Bank geschoben.
Basken beiderseits der Pyrenäen fordern die Anerkennung von Euskara – Europas ältester noch lebender Sprache – als Amtssprache. Außerdem streben sie die territoriale Einheit ihrer sieben Provinzen an, von denen vier im spanischen Königreich und drei in der Französischen Republik liegen. Sie möchten über die politische Zukunft ihres Gemeinwesens selbst bestimmen können. Die drei Forderungen kollidieren mit dem spanischen und französischen Staatsverständnis.
Die gesamtspanischen Parteien lehnen es ab, die Verfassung von 1978 grundlegend zu ändern, die eine unteilbare spanische Nation festschreibt. Diese Haltung schließt aus, das von Basken und Katalanen geforderte Selbstbestimmungsrecht in der Verfassung zu verankern. Über die Umwandlung des spanischen Staates in ein föderales System wird zwar gesprochen, aber es fehlt der konkrete Ansatz.
Selbst die Spielräume, die die aktuelle Verfassung bietet, werden nicht ausgeschöpft. So beklagt die Regierung der Autonomen Baskischen Gemeinschaft, dass sich Madrid weiterhin weigert, ihr – wie versprochen – mehrere Dutzend Kompetenzen zu übertragen. Die konservative Baskische Nationalpartei (PNV) plädiert als stärkste politische Kraft daher für einen “neuen politischen Status”, ohne diesen allerdings genauer zu definieren. Es könnte sich dabei sowohl um ein erweitertes Autonomiestatut im bisherigen Verfassungsrahmen handeln als auch um die Neuauflage des alten Plans, aus dem Baskenland einen “Freistaat” nach bayrischem Vorbild zu machen. Die staatliche Unabhängigkeit bleibt eine weitere Option. Während die bürgerlichen Nationalisten in Katalonien, mehrheitlich die Abtrennung von Spanien betreiben, steht die ebenfalls bürgerliche PNV diesem Prozess distanziert gegenüber.
Anders verhält sich die linke Unabhängigkeitsbewegung im Baskenland. Ihr kurzfristiges Ziel ist der Zusammenschluss der Autonomen Baskischen Gemeinschaft mit Navarra. Das würde sogar die spanische Verfassung gestatten. Der Weg zur Unabhängigkeit soll über einen gesellschaftlichen Diskussions- und Entscheidungsprozess erfolgen. Dieser Weg hat sich bereits in Katalonien bewährt. Dort ist es gelungen, dass die Zivilgesellschaft den Unabhängigkeitsgedanken mitträgt. Vergleichbare Massenaktionen unter dem Label “Gure esku dago” (baskisch: “Es ist unser Recht”) haben jeweils über hunderttausend Menschen parteiübergreifend auf die Straße gebracht. Mit dieser Strategie hofft man, die Madrider Blockadehaltung zu unterlaufen, die sich auf die spanische Verfassung beruft. Sie verbietet den Autonomen Gemeinschaften, ohne Erlaubnis der Zentralregierung über ihr Verhältnis zum Gesamtstaat abzustimmen. Das Verfassungsgericht hat bisher alle derartigen Beschlüsse der Regionalparlamente außer Kraft gesetzt und Volksabstimmungen vorab verboten.
Die Madrider Zentralregierung nutzt auch alle juristischen Möglichkeiten, um eine Verhandlungslösung im Sinne der linken Unabhängigkeitsbewegung zu erschweren. Die Koalition EH Bildu kann jederzeit auf Basis des Parteiengesetzes verboten werden. Politiker, wie Arnaldo Otegi, sitzen in Haft, weil sie mit der ETA sprachen, um sie zu einem neuen politischen Lösungsprozess zu überreden. Internationale Vermittler erhielten Vorladungen, nachdem sie öffentlich den Willen der ETA bezeugt hatten, ihre Waffen abzugeben. Spanische und auch europäische Gesetze gelten nicht, wenn Basken sie in Anspruch nehmen wollen. Die baskischen Gefangenen sind gesetzwidrig mehrere Hundert Kilometer vom Heimatort inhaftiert. Selbst jene, die sich von der ETA lossagten, erhalten keine Hafterleichterung. Haftstrafen wurden nachträglich verlängert. Mehrere Dutzend Betroffene mussten ihre Freilassung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einklagen. Der EGMR verurteilte den spanischen Staat mehrfach, weil er Anzeigen von baskischen Folteropfern nicht nachgegangen ist.
In Südafrika und Nordirland bereitete die Lösung der Gefangenenfrage den Weg, um den Konflikt friedlich beizulegen. Madrid verhindert das, weil es auf die Auflösung der ETA besteht, ohne indes ein konkretes Angebot damit zu verbinden. Im Baskenland demonstrieren jährlich mehrere Zehntausend Menschen für die Rechte der baskischen Gefangenen.
Trotz der Stagnation besteht derzeit jedoch keine Gefahr, dass die ETA zur Gewalt zurückkehren könnte. Sie hat mehrfach erklärt, dass das nicht ihr Anliegen ist. Dafür wäre sie wegen der zahlreichen Verhaftungen, darunter eines Teils ihrer Führung, auch zu geschwächt.
Damit ein Lösungsprozess in Gang kommt, bedarf es eines Politikwechsels in Madrid, den Gesellschaft und Medien mittragen. Damit ist kurzfristig nicht zu rechnen: Der spanische Staat läuft gerade Gefahr, mit Katalonien seine stärkste Wirtschaftsregion zu verlieren. Im Baskenland ist das Risiko im Moment geringer. Die PNV versteht sich immer noch als Mittlerin zwischen dem Zentralstaat und dem Baskenland. Deshalb verweigert sie sich dem Zusammenschluss mit der linken Unabhängigkeitsbewegung. Beide bleiben politische Konkurrenten. Das kann sich jedoch ändern, wenn die spanischen Parlamentswahlen im Dezember 2015 eine Regierung hervorbringen, die sich daran macht, die geltenden Regelungen über die Rechte der autonomen Regionen zu reformieren. Noch genießt die Autonome Baskische Gemeinschaft Steuervorteile gegenüber anderen autonomen Regionen. Aber die finanziellen Spielräume des spanischen Staates sind begrenzt. Die Schulden liegen bei 98% des BIP. Die Arbeitslosigkeit beträgt 22%. Brüssel erwartet von Madrid weitere Sparmaßnahmen. Diese und weitere Weichenstellungen werden mit darüber entscheiden, ob und wie der Frieden im Baskenland weiter konsolidiert werden kann.
Literatur
Collado Seidel, Carlos (2010): Die Basken. Ein historisches Porträt, München: C.H.Beck.
Munarriz, Fermin (2014): Lichtblicke im Baskenland. Ein Interview mit Arnaldo Otegi, Köln: PapyRossa.
Kasper, Michael/ Bernecker, Walther L. (2008): Baskische Geschichte, 2., bibliogr. aktualisierte und mit einem Schlusskapitel von Walther L. Bernecker vers. Aufl., Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft.
Lang, Josef (1988): Das baskische Labyrinth. Unterdrückung und Widerstand in Euskadi, Frankfurt a.M.: Isp-Verl.
Niebel, Ingo (2014): Das Baskenland. Geschichte und Gegenwart eines politischen Konflikts, 2. aktualisierte Aufl., Wien: Promedia.
Niebel, Ingo (2014): “Gebildet … freier baskischer Staat”. Das Baskenland während des Spanischen Bürgerkriegs 1936/37, Bonn: Pahl-Rugenstein Verlag.
Links
»Zabalo, Julen/ Imaz, Oier (2010): The EU and the Basque conflict – opportunities for engagement?«
1 Das Baskenland umfasst sieben Provinzen. Drei liegen in Frankreich und gehören zu dem sehr viel größeren Department Pyrénées Atlantiques. Die übrigen vier befinden sich in Spanien. Davon bilden drei die Autonome Baskische Gemeinschaft. Die vierte Provinz nennt sich Forale Gemeinschaft Navarra. Sie beruft sich damit auf ihre traditionellen regionalen Sonderrechte. Laut Verfassung dürfte sie per Referendum über den Zusammenschluss mit der Autonomen Baskischen Gemeinschaft entscheiden.
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