Politischer Geschwisterkrieg trifft Spaniens Volkspartei ins Mark

Ein interner Machtkampf droht die spanische Volkspartei (Partido Popular, PP) zu zerreißen. Der Parteichef Pablo Casado verdächtigt seine Rivalin Isabel Díaz Ayuso der Vetternwirtschaft; die Ministerpräsidentin der Autonomen Gemeinschaft Madrid sieht sich und ihre Familie als Opfer illegaler Spionage und einer Verleumdungskampagne.

Korruption zwecks Parteienfinanzierung und der individuellen Erwerbstätigkeit gehört zur anormalen Normalität der spanischen Tagespolitik. Nicht nur, aber erst recht wenn sie sich im Umfeld der spanischen Volkspartei ereignet. Mehrere Dutzend Verfahren – bekannt unter Namen wie Púnica oder Gürtel, um nur einige zu nennen – mit einigen Hundert Beschuldigten lassen annehmen, dass es sich hierbei eher um ein strukturelles Problem denn um eine Ausnahme handelt. Bei der PP flossen Gelder nicht nur in Privattaschen, sondern auch in die geheime „Kasse B“ der Partei. Mit den illegalen Einnahmen finanzierte die PP den Umbau ihrer Parteizentrale in der Calle Génova zu Madrid. Sie liegt schräg gegenüber der Audiencia Nacional, dem Sondergericht für Terrorismus, schwere Drogen- und Wirtschaftsdelikte.

PP-Parteichef Pablo Casado (2018) kämpft um die Macht. (Quelle: PP Comunidad de Madrid, Wikipedia, CC BY 2.0)

Vor einem Jahr kündigte PP-Chef Casado an, er werde Génova aufgeben und einen neuen Parteisitz suchen. Bei der Ankündigung ist es geblieben. Neu ist jedoch, dass er niemand geringeres als seine Parteifreundin Ayuso der Vetternwirtschaft rund um einen Maskendeal während der ersten Pandemiewelle beschuldigt.

Ein Maskendeal mit Geschmäckle

Isabel Díaz Ayuso (2019), Ministerpräsidentin der Autonomen Gemeinschaft Madrid, hat ihren Parteichef Casado herausgefordert. (Quelle: Von PP Comunidad de Madrid, Wikipedia, CC BY 2.0)

Ayuso ist nicht irgendwer, sondern die Ministerpräsidentin der Autonomen Gemeinschaft Madrid. Die Landesherrin machte sich einen Namen als „Trump von Spanien“, da sie wie der ehemalige US-Präsident dem Postfaktischen huldigt und es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Auf die Anschuldigungen aus der Parteizentrale entgegnet sie, sie sei das Opfer eines illegalen Spionageversuchs geworden und an dem Geschäft sei nichts auszusetzen.

Oberflächlich geht es um einen Maskendeal über 1,5 Millionen Euro, den die Madrider Landesregierung im März 2020 autorisierte. Aufgrund der Dringlichkeit konnte sie ihn freihändig ohne Ausschreibung vergeben. Der Auftrag ging an einen Textilunternehmer, der bis dato noch nie in der Gesundheitsbranche tätig gewesen war, aber Ayuso aus Kindheitstagen kannte. Daran verdiente auch ihr Bruder Tomás. Seine Provision soll zwischen zwischen 50.000 und knapp 300.000 Euro gelegen haben.

Ayuso hat in einer Stellungnahme den Auftrag erklärt. Zuvor berichtete die spanische Tageszeitung El Mundo, wie aus dem Umfeld des Rathauses von Madrid versucht wurde, über die Detektei Grupo de Investigación Mira des Privatermittlers Julio Gutiez den besagten Auftrag aufklären zu lassen. Der Detektiv lehnte ab, da ihn das Unterfangen mit dem Gesetz in Konflikt gebracht hätte. Stattdessen ließ er über Mittelmänner Ayuso die Nachricht zukommen lassen, dass er Bank- und Steuerdaten ihres Bruders hätte besorgen sollen.

Im Dezember informierte die Politikerin ihren Parteifreund, Madrids Oberbürgermeister José Luis Martínez-Almeida, von dem Geschehen. Dieser ließ die Angelegenheit untersuchen, weil Angestellte eines städtischen Unternehmens den Privatdetektiv kontaktiert haben sollen. Zunächst erbrachte die interne Ermittlung keine Ergebnisse. Am gestrigen Donnerstag jedoch trat überraschend und mit sofortiger Wirkung der Leiter von Almeidas Koordinationsabteilung im Rathaus, Angel Carromero, zurück. Der Strippenzieher des OB gilt als Anhänger von Parteichef Casado. Bereits im September meldete das Online-Portal Público, dass Carromero gegen Ayuso intrigrierte.

Der Spin-Doctor erlangte internationale Bekanntheit, als ihn 2012 ein kubanisches Gericht wegen fahrlässiger Tötung zu vier Jahren Haft verurteilte. Carromero sass am Steuer eines Mietwagens, der wegen überhöhter Geschwindigkeit verunglückte. Bei dem Unfall starben zwei Mitfahrende, die kubanischen Oppositionellen Oswaldo Payá und Harold Cepero. Die PP stilisierte Carromero zum Märtyrer, als wäre er Opfer eines Komplotts des sozialistischen Inselstaates geworden. Die PP-Regierung unter Premier Mariano Rajoy erreichte, dass der Parteifreund ausreisen durfte, um seine Haftstrafe in Spanien abzusitzen. Bereits kurz nach seiner Ankunft in der Heimat kam Carromero in den offenen Vollzug. Im Schatten des einflussreichen Madrider Landesverbandes machte er sich weiter um die Partei verdient, die seine Arbeit mit dem gutdotierten Rathausposten vergalt.

Machtkampf um Madrider Landesverband

Und genau um die Kontrolle eben dieses Landesverbandes kämpfen gerade Casado und Ayuso. Die Ministerpräsidentin leitet ihren Führungsanspruch von ihrem Erdrutschsieg bei den vorgezogenen Neuwahlen ab. Im Mai 2021 verdoppelte sie das Ergebnis von 2019 auf 44% der Stimmen. Trotzdem benötigte sie für die Wahl zur regionalen Regierungschefin die Stimmen der neurechten VOX.

Seit ihrem Wahlsieg gilt Ayuso für den rechten Flügel ihrer Partei als die Alternative zu Casado. Mit ihrer Rechtslastigkeit kann sie die VOX im Zaum halten. Gleichzeitig ermöglicht ihr das die parlamentarische Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen. Berührungsängste hat sie keine, während ihr Parteichef während des jüngsten Wahlkampfes in Kastilien-Léon, sich nicht entscheiden konnte, ob er VOX ablehnen oder als Kooperationspartner in Betracht ziehen sollte. Casados schwache Performance hat Ayuso in den letzten Wochen Flügel verliehen.

Der jetzt offen ausgetragene parteiinterne Geschwisterkrieg mit Ayuso offenbart Casados Führungsschwäche und sein erratisches Handeln. Wie er über seinen Generalsekretär Teodoro García Egea erklären ließ, wusste die Parteiführung bereits im September von dem Maskendeal mit Geschmäckle. Deswegen bestellte Casado Ayuso ein und informierte sie über den Verdacht. Die Ministerpräsidentin hätte ihm versichert, der Sache nachzugehen, so Egea. Einen Monat wäre es zu einem weiteren Gespräch gekommen, bei dem er Ayuso mitteilte, die Partei würde eigene Untersuchungen einleiten. Egea bestreitet energisch, dass dazu ein Privatdetektiv engagiert wurde.

Ayuso schlüpft währenddessen in die Opferrolle: „Die PP-Führung handelt grausam und ungerecht gegen mich“, sagt sie über die mutmassliche Spionageaktion gegen sie. „Es ist nicht die Wahrheit“, entgegnete Casado vor der Presse. „Dass die Opposition mich angreift, ist logisch“, zitiert die Tageszeitung El País Ayuso, „aber dass es die eigene Parteiführung macht, weil ich mich auf dem Parteitag der Madrider PP aufstellen lassen will, ist töricht.“

Wegen dieser und ähnlicher Äußerungen will die PP-Führung die Ministerpräsidentin vors Parteigericht bringen. Jetzt geht es für Casado und Ayuso um alles oder nichts. Die Eskalation des Konflikts könnte zur Strategie der Politikerin und ihres Strippenziehers Miguel Ángel Rodríguez gehören. Sie läuft auf ein Shoot-Out nach dem Highlander-Motto „Es kann nur eine(n) geben“ hinaus.

Wie lange der Polit-Skandal zwischen Génova und der Puerta del Sol, dem Sitz der Autonomen Regierung von Madrid, dauern wird, ist offen. Der politische Schaden für die Partei ist jetzt schon immens: Anstatt die PP für die regulären Parlamentswahlen 2023 regierungsfähig zu machen, steht sie kurz davor, sich zumindest zu lähmen, wenn nicht gar sich zu zerlegen. Dabei geht es noch nicht einmal um die grundsätzliche Ausrichtung der Partei, sondern ausschließlich um persönliche Ambitionen.

Die Sozialistische Spanische Arbeiterpartei (PSOE) und die linke Más Madrid im Landtag haben den Maskendeal bei der Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht. Die neofaschistische VOX gibt sich äquidistant, um die Kooperation mit der noch stärkeren PP in der Hauptstadt nicht zu gefährden. Im Augenblick ist nicht ersichtlich, wer innerhalb der Volkspartei in der Lage ist, die Risse zu kitten.

Für Spaniens linke Minderheitsregierung von Premier Pedro Sánchez (PSOE) mit der Linkskoalition Unidas Podemos (UP) seiner Dritten Vizepräsidentin Yolanda Díaz kommt die Krise der wichtigsten Oppositionspartei gerade recht. Die Makulatur der neoliberalen Arbeitsmarktreform, die aus PP-Zeiten stammt, konnte sie nur dank des Abstimmungsfehlers eines PP-Abgeordneten durchbringen. Jetzt muss Oppositionsführer Casado ums eigene politische Überleben kämpfen. Es bleibt abzuwarten, wie viele Kollateralschäden er und Ayuso bereit sind, für ihren Kampf um die Macht in der PP zu riskieren.

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