Bündnis90/Die Grünen, CDU und Volt zögern die Neubesetzung des Direktor:innenposten des NS-Dokumentationszentrums (NS-Dok) hinaus; ihr Kulturdezernent Stefan Charles spielt auf Zeit.
Die Kölner Politik und Verwaltung leisten sich eine Posse, wie sie sich neurechte Geschichtsrevisionisten nur erträumen können: Seit November dümpelt das prestigeträchtige und international bekannte NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln wie ein Schiff ohne Kapitän/in vor sich hin. Und das in einer Zeit, in der die Moskauer und Kiewer Propaganda die Gechichtspolitik in Deutschland zum Kollateralschaden des Ukraine-Krieges gemacht haben. Dabei regieren die Grünen mit CDU und der paneuropäischen Kleinpartei Volt unter der parteilosen Oberbürgermeisterin Henriette Reker die Domstadt.
Seit Sommer 2021 verzögern jedoch die drei Parteien die Neubesetzung der Leitungsstelle. Die Vakanz war absehbar, da der bisherige Direktor Werner Jung im Oktober in den Ruhestand ging. Ein Ausschreibungsverfahren fand ab Ende Juni statt, die Vorstellungsrunden wurden terminiert. Doch dann unterbrach der Rat das Verfahren, weil auf den neuen Dezernenten gewartet werden müsse. Grüne, CDU und Volt kungelten die Kandidaten aus. Sie wählten den Schweizer Kulturmanager Stefan Charles zum Leiter des Kulturdezernats. Regierungspräsidentin Gisela Walskens rüffelte zwar das ordnungswidrige Vorgehen von Reker und des Rates, ließ es aber durchgehen.
Nachdem die Personalie geklärt war, blieb die Direktor:innenstelle des NS-Dok aber weiter unbesetzt. Das Ausschreibungsverfahren blieb unterbrochen. Die Stadtspitze begründete das mit Verweis auf einen Ratsbeschluss. Demnach solle die Verwaltung zunächst die sogenannte Historische Mitte zu einem Alleinstellungsmerkmal der Stadt weiterentwickeln. Dazu zählt ihrer Ansicht nach seit Dezember auch das NS-Dok. In erster Linie sollen mögliche Synergien zwischen den Kölner Museen und Kunsteinrichtungen identifiziert werden. Eine Wiederbesetzung der offenen Stelle im NS-Dok könnte diesen Überlegungen vorgreifen, heißt es weiter. Aktueller Stand der Dinge ist, dass eine neue Ausschreibung erst erfolgen solle, wenn das Konzept für die “neue Mitte” steht. “Das könne in ein, zwei oder drei Monaten der Fall sein”, zitiert der EL-DE-Haus-Verein den Kulturdezernenten Charles.
Kölns “historische Mitte”
Je nach Epoche und Standpunkt variiert die Verortung der “historischen Mitte” einer Stadt. Im heutigen Köln dreht sie sich um den Dom. In seiner unmittelbaren Nähe, am Roncalli-Platz, liegt das Römisch-Germanische Museum RGM). Es fokussiert, wie der Name sagt, auf die Geschichte der Stadt von etwa 1000 vor unserer Zeitrechnung bis etwa 1000 Jahre danach. Die Stadtspitze möchte das umliegende Areal weitgehend umbauen. Die Neubauten sollen das Kölner Stadtmuseum (KSM) und das Archiv des Kurienhauses aufnehmen. “Hier spannt sich ein Stadtquartier auf, das mit dem Dom, der Philharmonie, dem Römisch-Germanischem Museum, dem Museum Ludwig, dem Rathaus, dem Wallraf-Richartz-Museum, dem Gürzenich, Alt Sankt Alban und Sankt Maria im Kapitol in seiner Bedeutung für die Kölner Stadt- und Kulturgeschichte einzigartig ist”, heißt es auf der Internetseite der Stadt Köln dazu.
Über das bauliche Konzept informiert die Stadtspitze, nicht jedoch darüber, wie sie gedenkt, die diversen Einrichtungen und ihre Bauten inhaltlich zu vernetzen. Im Laufe des Jahres soll das KSM aus dem Zeughaus provisorisch in das ehemalige Modehaus Franz Sauer ziehen. Das NS-Dok hingegen ist örtlich fest gebunden. Es ist auch kein Museum wie das RGM oder KSM, sondern eine Gedenkstätte mit Dokumentationszentrum, Dauerausstellung und Bibliothek, ein Ort geschichtswissenschaftlicher Forschung und der Prävention von Rechtsextremismus.
EL-DE-Haus, Sitz der Kölner Gestapo
Zur Einzigartigkeit des NS-Doks in Deutschland und in der EU gehört, dass es sich in dem Gebäude befindet, von aus die Geheime Staatspolizei die Gegner des NS-Regimes erforschte und bekämpfte. In den beiden Untergeschossen befinden sich die Zellen, an deren Wände Häftlinge ihre vielfach letzten Botschaften an die Nachwelt hinterliessen. Dort und im Hinterhof, wo die Gestapo Gefangene ermordete, wird den Opfer gedacht.
Im Erdgeschoss befinden sich Räume, die Sonderausstellungen aufnehmen können. In den oberen beiden Etagen informiert die Dauerausstellung über den Nationalsozialismus in Köln. Die hauseigene Präsenzbibliothek hält weiterführende Literatur bereit; das Dokumentationszentrum verwahrt darüber hinaus historische Fotos, private Unterlagen und Gegenstände aus jener Zeit. Ein großer Saal verfügt über Platz und Technik für Vorträge und Konferenzen. Das Personal forscht nicht nur, sondern es lehrt auch, indem es publiziert, Vorträge hält oder Besucher:innen altersgerecht durch das NS-Dok führt.
Einzigartigkeit des NS-Dok
Die Einzigartigkeit des NS-Dok wird sichtbar, wenn man sich in Deutschland und EU-weit nach vergleichbaren Einrichtungen umsieht.
Ein Blick in die drei größten deutschen Städte, die im Einwohner-Ranking vor Köln rangieren, ergibt folgendes Bild: In Berlin findet man die Topographie des Terrors. Sie liegt im Schatten des ehemaligen Reichsluftfahrtministeriums (jetzt Bundesfinanzministerium) auf dem weitgehend planierten Eckgelände zwischen der heutigen Niederkirchner und der Wilhelmstrasse. Dort residierten einst die SS-Führung, das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) und das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa) in diversen Gebäuden. In den 1950er Jahren sprengte der Berliner Senat die Ruine des Prinz-Albrecht-Palais. Vom Sitz des Gestapa und seines Hausgefängnisses zeugen nur noch einige wenige Kellerreste.
In Hamburg übte die Gestapo ihr Schreckensregime vom Stadthaus aus. 2009 verkaufte der Senat der Hansestadt das Gebäude an einen Privatinvestor. Der Käufer kam der Auflage nach und richtete eine Gedenkstätte ein. 2019 umfasste sie einen Raum, der sich den Platz mit einem Buchgeschäft und einem Café teilen musste.
In München bezog das dortige NS-Dokumentationszentrum München einen Neubau. Dieser befindet sich auf dem Gelände des Braunen Hauses. Von der ehemaligen Reichszentrale der NSDAP blieben jedoch nicht einmal die Fundamente übrig.
Das Kölner NS-Dok muss auch den internationalen Vergleich nicht scheuen. In Barcelona, Kölns Partnerstadt in Katalonien, fordern Menschen seit Jahrzehnten vergeblich eine entsprechende Einrichtung. Dazu böte sich die Polizeidirektion in der Vía Laietana an. Dort folterte die Polizei des faschistischen Franco-Regimes (1939-1975/78). Dennoch benutzt die spanische Nationalpolizei das Gebäude bis heute. “Die Polizeidirektion der Vía Laietana ist ein Symbol, das die Demokratie gestärkt hat”, sagte der spanische Innenstaatssekretär Rafael Pérez Ruiz 2021 am Ehrentag der Policía Nacional.
Die Geschichtslosigkeit, die das Mitglied einer sich progressiv nennenden linken Koalitionsregierung äußert, unterstreicht wie wichtig historische Forschung und politische Bildung sind, um eine staatliche Instanz wie die Polizei zu demokratisieren. Auch hier nimmt das NS-Dok eine Vorreiterrolle ein: Zusammen mit der Kölner Polizei arbeitete es deren Geschichte im Nationalsozialismus wissenschaftlich auf.
Seine jetzige Bedeutung verdankt es zum einem der engagierten Leitung von Horst Matzerath und Werner Jung sowie ihren qualifizierten Mitarbeiter:innen. Zum anderen erklärt sich das Gedeihen des NS-Dok durch seine Vernetzung mit der ihm nahestehenden Kölner Zivilgesellschaft. Neben wissenschaftlichen Publikationen zur “Arisierung”, der Kölner Polizei oder dem Bombenkrieg, um nur einige zu nennen, hat es Raum für den Austausch mit diversen Opfergruppen des NS-Regimes geschaffen. Zum Spektrum der Aktivitäten, die in und um das NS-Dok stattfanden, gehörte auch das Projekt die Widerstandslieder der Edelweißpiraten zu bewahren. Musiker:innen unterschiedlicher Genres nahmen sich des Vorhabens an. Den Input – Melodien und Texte – lieferten ehemalige Edelweißpiraten, die der Hinrichtung durch die Nazis entgangen waren.
Zivilgesellschaft engagiert sich für das NS-Dok
Dazu wäre es aber nicht gekommen, hätten sich in den späten 1970er Jahren nicht Bürger:innen dafür engagiert, die blutige Geschichte des Hauses publik zu machen. Das Gebäude, benannt nach seinem Erbauer Ludwig, befand sich in städtischem Besitz. Die Stadt weigerte sich, mit der NS-Geschichte auseinanderzusetzen. Um die Vergangenheit des Ortes als Gestapo-Stelle zu beweisen, ließen sich zwei Kölner – Kurt Holl und Sammy Maedge – heimlich im EL-DE-Haus einschliessen. Im Keller suchten sie nach Spuren der Gestapo-Vergangenheit. Die einstigen Zellentrakte dienten damals dem städtischen Rechtsamt als Archivkeller. Hinter den Aktenregalen entdeckten sie auf den Zellenwänden Inschriften der Gestapo-Häftlinge. Gegen die Blockadehaltung der Stadtverwaltung organisierten sich Kölner:innen u.a. im gemeinnützigen EL-DE-Haus Verein. Ihr konstantes Wirken half, Widerstände zu überwinden. Schließlich richtete die Stadt Köln die Gedenkstätte und das NS-Dok ein.
Eben diese facettenreiche Kölner Zivilgesellschaft fordert jetzt vom Rat, dass der Leitungsposten im NS-Dok neu besetzt wird und zwar pronto. “Es darf nicht sein, dass die bisher außerordentlich erfolgreiche Arbeit des NS-Dok und seine Reputation zur Verfügungsmasse im Zusammenhang mit einem noch zu entwickelnden Konzept der ‘Historischen Mitte’ werden”, stellten die Vorsitzenden des EL-DE-Haus-Vereins, Claudia Wörmann-Adam und Martin Sölle fest.
Das NS-Dok ist eine wichtige Tankstelle für Antifaschismus.”
Rolly Brings, Kölner Musiker
Der Forderung nach einer sofortigen Neubesetzung des vakanten Postens pflichtete auch der Vertreter des Bündnisses “Köln stellt sich quer”, Wittich Roßmann bei: “Wenn das Projekt nicht in eine versteinerte Erinnerungskultur übergehen soll, braucht es eine Leitung, die diese Herausforderung erkennt.” Für den Sprecher der AG “Arsch huh”, Hermann Rheindorf, ist es ein “Skandal, die Leitung des Hauses gerade in Zeiten zu schwächen, in denen ein klares Demokratiebekenntnis nötig ist.” “Das NS-Dok ist eine wichtige Tankstelle für Antifaschismus”, unterstrich der Kölner Musiker Rolly Brings bei einer Pressekonferenz, die der EL-DE-Haus Vereins am vergangenen Montag einberufen hatte.
Die Historiker Jost Dülffer und Ralph Jessen, Habbo Knoch und Nicole Kramer fordern ebenfalls von OB’in Reker, dass die Vakanz sofort beendet wird. In ihrem Schreiben erinnern sie daran, dass die Stadt Köln bereits 2002 vorhatte das NS-Dok mit dem KSM “enger zu verbinden, wenn nicht gar zusammenzulegen”. Die Entwicklung des Dokumentationszentrum zeige, dass es richtig war, die beiden Einrichtungen nicht zusammenzuführen, meinen die Professor:innen.
Ob das öffentliche Auftreten der unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteure ausreichen wird, damit das NS-Dok rasch eine neue leitende Person erhält, ist fraglich. OB’in Reker lässt über ihren Sprecher mitteilen, dass die Vakanz keineswegs die Reputation, Relevanz oder Qualität der Einrichtung gefährde. Aus den regierenden Fraktionen von Grünen, CDU und Volt lassen sich immerhin einzelne Stimmen vernehmen, die eine rasche Besetzung fordern. Die oppositionelle SPD will die Personalie am 5. April im Kulturausschuss behandeln.
Angesichts der bisherigen Verzögerungen bleibt der EL-DE-Haus e.V. nicht untätig: Er sammelt Unterschriften von Unterstützer:innen, die die Forderung nach einer zügigen Wiederbesetzung der vakanten Leitungsstelle mittragen.
Leave a Reply