Patrick Eser vergleicht mein Buch mit den Werken von Michael Kasper und Carlos Collado Seidel
Neue Geschichten über das Baskenland
Michael Kasper, Ingo Niebel und Carlos Collado-Seidel haben historische Porträts einer konfliktreichen Region vorgelegt
Von Patrick Eser
Das Baskenland ist in Deutschland immer wieder auf Neugierde und Interesse gestoßen. Die rätselhafte baskische Sprache, über deren Herkunft bis heute immer noch keine eindeutige Erklärung geliefert wurde, hat immer wieder für phantasiereiche Hypothesen und Ursprungsmythologien Anlass gegeben. 1801 hatte Wilhelm von Humboldt das Baskenland bereist, Euskera, die baskische Sprache, erlernt und sich deren Erforschung gewidmet. Dieser Pionierleistung in der Erforschung der baskischen Sprachgeschichte sind zahlreiche weitere Analysen und ethnografische Studien des baskischen Exotikums aus Deutschland gefolgt. Die Bombardierung der baskischen Stadt Gernika durch die deutsche Fliegerstaffel Legion Condor 1937, das erste großflächige zivile Bombardement in der Militärgeschichte, stellt eine furchtbare Verwicklung der deutschen und baskischen Geschichte dar. Nach dem Sturz der Franco-Diktatur gab es ein hohes Interesse an der politischen Entwicklung Spaniens und auch im Baskenland, da sich in dieser Region im Spätfrankismus eine breite nationalistische Bewegung herausgebildet hatte, die weitreichende Autonomierechte oder gar die Unabhängigkeit forderte.
Der dort revitalisierte nationale Konflikt stieß nicht zuletzt wegen der Gewaltkampagne der Untergrundorganisation ETA auf breites internationales Medieninteresse. Regelmäßige Informationen über die politische Entwicklung im Baskenland lassen sich in Deutschland jedoch lediglich durch die Berichterstattung der „FAZ“, des Auslandsinformationsdienstes der Konrad Adenauer Stiftung oder der linken Tageszeitung „junge welt“ beziehen – eine sehr dürftige Informationslage, die sich lediglich verändert, wenn die ETA mal wieder durch ein spektakuläres Attentat auf sich aufmerksam macht, so etwa im Sommer 2009, als die ETA in der deutschen Paradeurlaubsregion Mallorca Anschläge auf die Guardia Civil verübt hatte.
In jüngster Zeit sind auf dem deutschen Buchmarkt drei Monografien erschienen, die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit dem Baskenland auseinandersetzen. „Baskische Geschichte“ ist die Neuauflage der 1997 zuerst erschienenen umfassenden Geschichtsschreibung des 2005 verstorbenen deutschen Historiker Michael Kasper. Kasper, der als Dozent an der Universität Deusto in Bilbao tätig war, holt weit aus und beginnt seine historische Darstellung mit der vorrömischen Stammesgliederung und geht über die Romanisierung und das Mittelalter schließlich bis ins 20. Jahrhundert.
Kasper geht davon aus, dass das Baskenland als eine „ethnische und kulturelle Gemeinschaft“ zu verstehen ist, die vor allem durch die gemeinsame Sprache gestiftet werde. Das Land der Basken sei „Euskal Herria“, das „Land der Baskisch-Sprecher“. Dieses habe keine politisch-administrative Einheit und zerfalle in drei distinkte terriroriale Gliederungen: die beiden Regionen des spanischen Staats, Baskenland und Navarra, sowie südwestliche Teile von Frankreich. Kasper schlägt als Bezeichnung für den nördlichen Teil auf dem französischen Territorium und den südlichen Teil des spanischen Staats die auch im Baskenland geläufigen Termini „Iparralde“ (nördlicher Teil) respektive „Hegoalde“ (südlicher Teil) vor.
Kaspers Darstellung, die die politische Ereignisgeschichte durch wirtschafts- und sozialgeschichtliche Ausführungen geschickt ergänzt, reicht bis in die 1990er-Jahre. Für die Zeit der Demokratisierung Spaniens seit Beginn der 1980er-Jahre entwickelt er ein Verständnis für das Problem der Fortsetzung des bewaffneten Kampfes, indem er die zahlreichen Hindernisse, die einer Befriedung des „nationalen Konflikts“ im Wege stehen, erläutert. Die politische Entwicklung seit 1995 bis in die jüngste Gegenwart, die in den Ausführungen Kaspers nicht mehr enthalten ist, skizziert der Hispanist Walther Bernecker kursorisch in einem Nachwort.
Eine weitere Neuerscheinung stellt „Das Baskenland. Geschichte und Gegenwart eines politischen Konflikts“ von Ingo Niebel dar, der als Spanienkorrespondent der „jungen welt“, regelmäßig über die Entwicklungen in Spanien und im Baskenland berichtet. Der thematische Fokus wird in dem Buch von Niebel wesentlich stärker auf die jüngsten Vergangenheit und die Entwicklung des nationalen Konflikts gelegt als bei Kasper. Niebel macht keinen Hehl aus seiner politischen Positionierung, er stellt auf den ersten Seiten in einem kurzen Abschnitt zur „Verortung des Autors“ schon klar, dass er das „Streben vieler Basken nach Anerkennung der nationalen Identität, territorialen Einheit und des Selbstbestimmungsrechts“ teilt. Die Situation und seine Erfahrungen als Journalist im Baskenland drängen ihn zu dieser Positionierung, auch wenn diese zur Folge haben könnte, dass er sich nach dem stereotypen Vorurteil in der Nähe zum „Terrorismus“ befände.
Niebels Darstellung umfasst die Geschichte des baskischen Nationalismus, ausgehend von der ersten systematischen Programmatik durch Sabino Arana im ausgehenden 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Er widmet sich zudem Themen, die in der gewöhnlichen Berichterstattung zu Spanien unterbeleuchtet bleiben, so skizziert er etwa die monopolisierte spanische Medienlandschaft, die immer wieder für verzerrte Darstellungen des baskischen Konflikts in der spanischen und internationalen Medienöffentlichkeit verantwortlich ist.
Niebel bürstet in seinen Darstellungen durchweg die vorherrschenden Problemwahrnehmungen und -diagnosen gegen den Strich. In der minutiösen Rekonstruktion des Verhandlungsprozesses zwischen der ETA und der vom PSOE geführten spanischen Regierung seit 2006 zeigt er auf, welche Blockaden auch auf Regierungsseiten zum Scheitern der Verhandlungen geführt haben – eine von den konventionellen Darstellungen abweichende Sichtweise, die die Schuld nicht nur einseitig bei der ETA sucht. In weiten Teilen seines Buchs widmet sich Niebel der anomalen Situation im Baskenland, den stetigen, von Amnesty International immer wieder kritisch dokumentierten, auftauchenden Folterfällen, der weitreichenden Verbotspolitik gegen sämtliche linksnationalistische Vereinigungen unter der Begründung des Terrorismusverdachts, im Land mit der „höchsten Polizeidichte in Europa“.
Bestimmte gesellschaftliche Phänomene fallen in Niebels teils dichter Beschreibung der gesellschaftlichen Realität des Baskenlandes dennoch unter den Tisch. Deutlich wird dies nicht zuletzt auch in der Darstellung der linksnationalistischen Bewegung selbst. Die Widersprüche innerhalb dieses politischen Milieus werden im Licht des großen Antagonismus des „Baskenlandes gegen Spanien“ vernachlässigt. Wie die Kontroversen innerhalb der Bewegung bleiben auch die Konflikte und der Pluralismus innerhalb der „baskischen Bevölkerung“ selbst unerwähnt. Von einem eindeutigen Willen „des Baskenlandes“ kann nicht ausgegangen werden, auch wenn dies die analytischen Schwarz-Weiss-Musterung in der Analyse Niebels teilweise nahezulegen scheint. Trotz dieser Blickverengung kann das Buch Niebels in mancher Hinsicht als informatives Korrektiv und Gegengewicht zu den geläufigen Darstellungen und Berichterstattungen dienen, auch wenn man den politischen Einschätzungen des Autors nicht folgt.
Eine weitere Beschäftigung mit der Geschichte und Gegenwart des Baskenlands hat der Münchner Historiker Carlos Collado-Seidel mit „Die Basken. Ein historisches Porträt“ vorgelegt. Dass die Nationalgeschichtsschreibung nicht ohne die Reproduktion nationaler Klischees auskommt, zeigt schon die Umschlaggestaltung des Bandes. Auf dem Titelbild ist ein älterer Mann mit der typischen Baskenmütze abgebildet, der einsam auf einer Bank sitzend, in eine grüne, fruchtbare Berg- und Tallandschaft hinabblickt. Der essentialistische Wahrheiten verkündende Titel wird von dem Umschlagphoto bildlich unterstützt, auch der Umschlagstext des Bandes, in dem vom „zähen Volksstamm“ und dessen einzigartiger Sprache und Kultur die Rede ist, regt entsprechende Erwartungen.
Die Argumentationsführung bestätigt jedoch diesen ersten Eindruck in erfreulicher Weise nicht. Collado-Seidel problematisiert schon auf den ersten Seiten die vermeintliche Suggestivkraft nationaler Stereotype und entwirft im Folgenden eine Darstellung, die der Spezifik der historischen Entwicklung des baskischen Ethnie gerecht wird. Dabei verzichtet er darauf, ein essentialisierendes, nationalgeschichtliches Narrativ zu entfalten. Collado-Seidel beginnt seine Darstellung mit den geschichtlichen Ursprüngen und der Herkunft der Basken, nicht ohne zugleich auch die darum kreisenden, fantasiereichen Mythen und Legenden zu erwähnen. Die restliche, sehr gut lesbare und schön formulierte Darstellung der Geschichte umfasst die zentralen Entwicklungspunkte und sozialen Konflikte auf dem Weg des Baskenlandes in die Moderne. So wird auch ein guter Überblick über die Grundzüge der Entwicklung des Baskenlands und des nationalen Konflikts im 20. Jahrhundert, insbesondere seit dem Ende des Franco-Regimes geliefert. Abgerundet wird die historische Rekonstruktion von einem Ausblick, der die Zukunft des Baskenlandes in kultureller, ökonomischer wie auch in politischer Hinsicht auslotet und anstehende Herausforderungen umreißt. Etwas irritierend an der Darstellung Collado-Seidels ist jedoch die Verwendung des aus der deutschen Verfassungslehre stammenden Terminus der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ zur Charakterisierung des gegenwärtigen politischen Systems Spaniens. Dessen Verwendung im Sinne einer normativen Kategorie mutet an das formalistische Vorgehen einer vergleichenden Regierungslehre an. Dieser Vergleich zieht vor allem dann nicht, wenn er kritiklos auf das politische System Spaniens angewandt wird und wirkt zynisch, wenn man sich vor Augen führt, dass der spanische Staat permanent wegen seiner Folterpraxis und der Verbotspolitik gegenüber baskischen Parteien von internationalen Menschenrechtsorganisationen kritisiert wird. Diese kleine terminologische Ungenauigkeit verleiht der sonst sehr ausgewogenen Darstellung Collado-Seidels leider einen seltsamen Beigeschmack.
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Den Originaltext finden Sie hier.
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